Dr. Stephan Böhm - Social Health

Shownotes

Wie gesund ist digitales Arbeiten in New-Work-Szenarien? Und welchen Anteil hat virtuelle Führung daran? Prof. Dr. Stephan Böhm von der Universität St. Gallen erforscht dieses. Der Experte für Diversity Management and Leadership benennt anhand von Langzeit-Studien mit Konzernen klare kausale Zusammenhänge, was Soziale Gesundheit (Social Health) bedeutet und wie sie entscheidend und nachhaltig zur Produktivität beiträgt:

Wo sollten Mitarbeitende Grenzen in den Arbeitsbeziehungen ziehen?

Wie weit reichen die Möglichkeiten des Job-Crafting?

Warum profitieren alle davon, wenn Führungskräfte eine Inklusionskultur schaffen – und was zeichnet diese aus?

Und welches Potenzial steckt darin, wenn Führungskräfte auf die Stärken ihrer Team-Mitglieder setzen, statt Schwächen bereinigen zu wollen?

https://www.alexandria.unisg.ch/persons/915

https://t3n.de/news/teamarbeit-in-homeoffice-entscheidender-faktor-st-gallen-1513710/

https://wissensdialoge.de/proximity-bias/

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Stephan Böhm: Sowohl Lehrende wie auch Kinder sind oft darauf konditioniert, quasi Schwächen irgendwie zu suchen. Das kann man auch euphemistisch als Entwicklungspotenziale definieren. Aber dennoch geht es am Ende um Schwächen suchen. Und das ist einfach was, was wir im Personalmanagement 20, 30 Jahre einfach gemacht haben. Wenn man an so ein klassisches Mitarbeitergespräch denkt, da gibt es vielleicht drei Minuten Lob für irgendwas und dann wird viel geredet, was man irgendwie noch besser machen könnte. Und besser zu werden ist eine tolle Geschichte. Und Komfortzonen verlassen ist eine tolle Geschichte. Aber, und das ist tatsächlich der ganz große Unterschied, wir dürfen die nicht aus dieser Defizitorientierung raus verlassen, sondern wir müssen die aus der Stärkenorientierung heraus verlassen. Wir müssen das, was wir gut machen, eigentlich noch besser machen.

Intro: lead:gut - Inspiration für Führungskräfte.

Stephan Böhm: Die WHO definiert Gesundheit als Zustand des physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens. Dass der Mensch in seiner Arbeitsumgebung körperlich, geistig wie seelisch gesund sein sollte, ist inzwischen hinlänglich bekannt und auch erforscht. Und es stehen den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern viele Instrumente, vor allen Dingen auch präventive, zur Verfügung. Diese werden zunehmend auch eingesetzt, da Arbeitgeberin und Arbeitgeber verstanden haben, dass Fitnessstudio, Yogastunden, Meditation und auch sogenannte ABO Psychologin, also Arbeits- und Organisationspsychologen, zum Wohlbefinden der Belegschaft beitragen. Aber was ist in diesem Zusammenhang Social Health? Was ist soziale Gesundheit und was bedeutet das auch im Arbeitskontext? Und welches sind hier die wichtigen Faktoren? Und was können Führungskräfte und Organisationen tun, um hier erfolgreicher zu sein? Darüber spreche ich mit meinem heutigen Gast Dr. Stefan Böhm. Dr. Stephan Böhm ist Professor für Diversity Management und Leadership an der Universität Sankt Gallen und er leitet das Center for Disability und Integration. Herr Dr. Boehm, Herr Professor Böhm, herzlich willkommen!

Stephan Böhm: Lieben Dank für die Einladung, Herr Kirchhoff.

Tobias Kirchhoff: Sehen Sie sich eigentlich als Gewinner der Koronakrise?

Stephan Böhm: Also ich glaube, sich da als Gewinner zu bezeichnen, wäre nicht angebracht, sag ich mal im Rahmen dessen, was das für viele Leute bedeutet hat. Ich glaube, dass es forschungsseitig gewisse Themen nach vorne gebracht hat, an denen wir schon vorher dran waren. Unter anderem eben tatsächlich das Thema soziale Gesundheit, dieses soziale Miteinander am Arbeitsplatz, die Gestaltung von gesunden Arbeitsbeziehungen. Und da war natürlich Corona ein externer Schock. Und dieser externe Schock, der hat dann viel Wandel in Bewegung gebracht. Und Wissenschaftler finden solche externen Schocks mitunter spannend, weil die helfen dann, gewisse Dinge zu erforschen, gewisse Veränderungen zu erforschen und dann tatsächlich auch Wirkzusammenhänge irgendwo zu sehen in den Daten. Und insofern ist sicherlich Corona als Beschleuniger von vorher existenten Prozessen wie Digitalisierung, Flexibilisierung von Arbeit, was, was uns forschungsseitig sehr beschäftigt hat und bis heute auch tut.

Tobias Kirchhoff: Sie haben nämlich vor Corona eine Studie konzipiert, zusammen mit der Barmer. Social Health at Work heißt die. Da geht es um die Auswirkung der Digitalisierung, Schrägstrich, wahrscheinlich auch Mobilisierung der Arbeitswelt auf die Gesundheit der Beschäftigten. Und dann mit Corona sind ja die Beschäftigten sehr viel zu Hause gewesen und haben mobil gearbeitet. Da vielleicht vorweg auch direkt die Frage - Wie gesund ist denn digitales oder mobiles Arbeiten?

Stephan Böhm: Ja, das ist eine sehr gute Frage. Also was wir in den Daten sehen und was diese Studie, die Sie ansprechen, die wir gemeinsam mit der Barmer jetzt eben, sage ich mal, in der ersten Form seit 2016 schon machen durften und jetzt seit 2020 noch mal in einer intensivierten Form, da befragen wir tatsächlich 8000 Leute alle sechs Monate. Also es ist ein sehr großes, sehr bevölkerungsrepräsentatives Sample und da schauen wir uns natürlich auch an, wie diese neuen Arbeitsprozesse, was die mit der Gesundheit machen. Und man kann eigentlich so im Großen und Ganzen sagen, dass das kein Schwarz Weiß Bild ist. Also es ist nicht so, dass beispielsweise mobiles und örtlich zeitlich flexibles Arbeiten, dass das jetzt unbedingt Leute gesund oder krank macht, sondern wie bei vielen Dingen ist es der persönliche Umgang damit, ist das, was die Führungskräfte tun, ist das, was die Organisationen tun, ob das eher eine Ressource ist oder ob das eher eine Anforderung dann wird. Und letztlich ist es beides. Wenn Sie einfach so in die ganz großen Daten reinschauen, dann sehen Sie oft eigentlich relativ geringe Effekte. Aber wenn Sie dann tiefer bohren und wenn Sie gucken, wie Leute das gesund oder weniger gesund gestalten, dann sehen Sie, dass das ein super relevanter Einflussfaktor ist.

Tobias Kirchhoff: Gucken wir uns gleich noch mal an, was das für den Einzelnen bedeutet, was Ihre Studie rausgebracht hat. Ich würde vielleicht noch mal vorne anfangen, das Thema Social Health. Was bedeutet Social Health per se und was ist soziale Gesundheit im Arbeitskontext? Was haben wir darunter zu verstehen?

Stephan Böhm: Also wie wir das für diese Studie tatsächlich definiert haben und konzipiert haben, Geht es da tatsächlich um die Gestaltung von gesunden Arbeitsbeziehungen, von gesundem Verhalten im Arbeitskontext. Was in diesem Dreiklang dann spielt, auch mit der physischen Gesundheit und mit der psychischen Gesundheit, wo es viel um das soziale Miteinander geht, wo es viel um Eingebundenheit beispielsweise versus Abgrenzung geht, wo es um Autonomie geht versus eben gemeinsame Entscheidungsprozesse, wo es aber auch so um Themen geht, wie manage ich beispielsweise Produktivität und Erholung. Und je weniger ich natürlich in einem festen betrieblichen Kontext bin, sondern auch zu Hause arbeite, zeitlich, örtlich, mobil arbeite, je mehr bin ich da natürlich auch selbst gefordert, das irgendwo zu managen und je mehr sind die Führungskräfte gefordert und je mehr steht das, dann, sage ich mal, unter einer gewissen Herausforderung, weil das nicht mehr so natürlich ist. Also auch, dass beispielsweise das soziale Miteinander, wenn ich eben viel im Homeoffice bin, dann kann ich mal plakativ gesagt, mich da natürlich ziemlich einigeln und da dann auch tatsächlich so eine gewisse Distanzierung erfahren und auch wenig Eingebundenheit erfahren. Aber es gibt eben auch Teams und es gibt auch Führungskräfte, die trotzdem versucht haben, eben dieses soziale Miteinander weiter stark nach vorne zu bringen. Und da sehen wir, dass das eben auch was ganz Relevantes ist, weil am Ende ist so Zugehörigkeit beispielsweise ein menschliches Grundbedürfnis. Also die allerallermeisten verspüren das. Und insofern ist das natürlich auch auf diese beiden anderen Gesundheitsfaktoren physisch und psychisch sehr, sehr relevant als Einflussfaktor. Und das schauen wir in dieser Studie eben verstärkt an..

Tobias Kirchhoff: Sie haben sich dann ja angeschaut, die Arbeitszufriedenheit, Thema Erschöpfung, Unsicherheit und Absentismus. Hat sich das im Laufe der Koronakrise, weil ich kann mich selber erinnern, am Anfang war man ja fast begeistert, wenn man das so sagen darf, dass man zu Hause arbeiten konnte und war auch sehr motiviert. Das hat dann irgendwann auch nachgelassen. Und das Thema der Trennung oder Work Life Balance oder Work Life Integration wurde dann schwierig. Können Sie denn, und Sie haben sich das ja an mehreren Punkten angeschaut über den den Zeitraum, können Sie was zu den Themen Arbeit, Zufriedenheit, Erschöpfung, Unsicherheit, Absentismus sagen? Wie sich das verändert hat, wie sich das ausgewirkt hat?

Stephan Böhm: Ja, also was wiederum eine ganz wichtige Geschichte quasi ist, schaue ich mir so den Einzelnen an, und mit dem Einzelnen meine ich dann quasi alle 8000 Leute, die wir befragen oder schaue ich mir die so in dieser Gesamtheit an? Und in der Gesamtheit, wir sprechen da auch so von dieser Between Person Variance, also wie die sich alle quasi unterscheiden. Da ist es so, dass sich tatsächlich so emotionale Erschöpfung, Arbeitszufriedenheit, das hat sich gar nicht so wahnsinnig verändert. Also das ist über diese Befragungswellen eigentlich relativ ähnlich geblieben. Es ging so am Ende, wie Sie es auch sagen, so leicht nach oben, auch so Themen wie emotionale Erschöpfung. Es gab aber eben auch positive Faktoren, zum Beispiel virtuelle Führung. Wenn ich mir das anschaue, dann ist das etwas, was am Anfang relativ negativ bewertet wurde. Es war natürlich auch für viele neu und dann mit der Zeit wurde das tatsächlich besser bewertet und das hat sich auch recht konsistent durch all diese Wellen durchgezogen, dass da immer ein bisschen was drauf kam, also dass es da schon auch Lerneffekte gab bei Führungskräften und insofern da ein positives Resultat. Wir haben uns auch so Themen angeschaut wie zum Beispiel digitaler Reifegrad, also was nehme ich da wahr, wo stehen wir da im Unternehmen? Wir unterscheiden da so fünf Phasen, so am Anfang, so eine Widerstandsphase, dann eine Vorbereitungsphase, eine Umsetzungsphase und dann eher so Implementierungsphasen und volle Virtualität. Und da sehen wir tatsächlich auch recht konsistent, dass die Leute über, sage ich mal, die Corona Pandemie hinweg einen höheren Reifegrad dann wahrgenommen haben. Also viele Unternehmen sind eben da reingekommen, diesen Wandel für sich dann anzunehmen und diesen Wandel auch zu gestalten. Und da sehen wir dann natürlich auch wieder diese Zusammenhänge oder auch Wirkungen, dann beispielsweise auf Gesundheit, auf Arbeitsfähigkeit und was zum Beispiel vielleicht ein ganz interessantes Resultat auch ist, wir sehen, dass der Stress am Anfang bei den Beschäftigten hochging, also in dem Moment, wo die vieles neu machen mussten, wo viele Prozesse nicht mehr so waren, wie sie das kannten, da ging der Stress deutlich hoch. Der ging dann in den späteren Phasen auch mit so einem höheren Reifegrad wieder nach unten. Interessanterweise, die Arbeitsfähigkeit ging von Anfang an hoch. Also das ist eigentlich auch ein ganz, ganz interessantes Resultat, das auf der einen Seite Stresswahrnehmung hochging, aber dennoch das Gefühl, dass ich durch diese neuen Prozesse meine Arbeit eigentlich gut machen kann. Das ging auch schon hoch und das ist eigentlich auch, sage ich mal, ein mutmachendes Element. Und es zeigt auch wieder, dass so eine externe Krise durchaus dazu führen kann, wenn die einigermaßen vernünftig angenommen und gemanagt wird, dass da auch was Positives rauskommen kann am Ende.

Tobias Kirchhoff: Dann lassen Sie uns mal bei dem Einzelnen ansetzen. Sie haben ja drei Dimensionen unterschieden, die / der Einzelne, das Team und dann die Organisation. Was hat denn der Einzelne gemacht, damit er quasi produktiver wird? Was haben Sie da festgestellt?

Stephan Böhm: Also, was wir uns da tatsächlich anschauen, unter anderem, ist das Thema Grenzmanagement und das hatte ich vorhin schon gesagt, also dieses Thema quasi Eingebundenheit versus Abgrenzung, das ist in dem Moment, wo ich im betrieblichen Kontext unterwegs bin, sehr klar, Ich habe wirklich die Phase, da steige ich morgens in die S-Bahn oder ins Auto, da pendel ich irgendwo hin, da habe ich auch so eine Übergangsphase irgendwo, da kann ich mich auf den Job einstellen, Dann checke ich da ein mit meiner Karte oder wie auch immer. Und dann habe ich eine sehr klare Abgrenzung zwischen Privatem und Beruflichen, und das haben wir gesehen, dass das zu Hause natürlich wegfällt. Da ist dieser Übergang sehr plötzlich. Und wenn kein Abgrenzungsmanagement betrieben wird, dann ist das ein Risikofaktor. Und da sehen wir auch, dass Leute, die das nicht machen, nachweislich quasi davon gesundheitlich, sage ich mal, einen gewissen Schaden nehmen, also dass das wirklich ein Risiko ist. Und deswegen haben wir uns dann über diese Studie hinweg besonders, sag ich mal, drei so Grenzmanagement Strategien angeschaut. Zum einen örtliches Grenzmanagement. Das ist wahrscheinlich, sage ich mal, mit so das Naheliegendste. Das ist, habe ich irgendwo einen festen Arbeitsbereich zu Hause oder arbeite ich mal auf dem Bett und mal in der Küche und mal auf dem Esstisch. Und das ist was, was nicht gut ist, sondern wir sehen also, dass Leute, die dieses örtliche Grenzmanagement betreiben, dass die einfach diese klarere Trennung hinbekommen. Und das ist vermutlich etwas, was fürs Gehirn, für den ganzen Organismus irgendwo wichtig ist, wirklich diese Arbeit und Freizeit bewusster abzugrenzen. Und da sehen wir übrigens auch interessante Unterschiede nach dem Geschlecht. Männer haben von Anfang an dieses örtliche Grenzmanagement relativ stark gemacht, Frauen weniger. Frauen haben dann während der Pandemie das mehr betrieben, was eben auch wichtig ist. Wir können das nicht 100 % erklären, aber es könnte, sage ich mal, ein gewisses territoriales Verhalten sein, wenn man so will. Also wir sehen auch tatsächlich, dass das besonders bei Verheirateten Studienteilnehmenden ausgeprägter war, also bei Single Frauen nicht. Die haben dieses örtliche Grenzmanagement betrieben aber vermutlich da, wo eine Beziehung ist, hat sich eventuell häufiger der Mann einfach das Büro oder den Arbeitsplatz da gesichert.

Tobias Kirchhoff: Das heißt in einer Beziehung kann sich die Frau schlechter abgrenzen?

Stephan Böhm: Oder bekommt weniger dann die Möglichkeit dazu. Hat wahrscheinlich auch dann in Bezug auf die familiären Pflichten, Homeschooling etc. vielleicht dann da mehr getragen, was natürlich auch ein Problem ist, aber das ist ein so ein Resultat, was wir sehen. Das zweite, das ist das Thema zeitliches Grenzmanagement, ist auch sehr wichtig, weil es eben nicht sinnvoll ist, tatsächlich beispielsweise noch um 22:00, 23:00 weiter seine Emails zu checken, am Wochenende da Arbeit und Privates komplett verschwimmen zu lassen. Das ist einerseits für so Arbeits / Familien Konflikte, was relativ gefährlich ist. Das ist aber auch zum anderen wirklich für die persönliche Gesundheit etwas, was man nicht empfehlen kann. Und das dritte, und das ist vielleicht das Unbekannteste und damit auch das Spannendste, das ist kommunikatives Grenzmanagement. Was ist das? Das ist eigentlich, dass ich quasi meinen unterschiedlichen Stakeholdergruppen oder Anspruchsgruppen, wenn man so will, also meistens eben auf der einen Seite den Arbeitskontext und den Mitarbeitenden, den Kollegen und auf der anderen Seite der Familie, Freunden etc. relativ klar kommuniziere, wann ich in welcher Rolle bin. Und das zu tun, was dann auf allen Seiten irgendwie Erwartungen dann auch klärt. Das ist eben sehr hilfreich. Und was wir jetzt eben zusammengenommen sehen, ist, dass Leute, die dieses Grenzmanagement betreiben, wirklich über die Zeit kausal und das ist wichtig, weil das gibt es in so Studien relativ wenig, aber wir können mit bestimmten Methoden eben diese Kausalität zeigen, dass die davon gesünder werden und dass die leistungsfähiger werden, dass die weniger Stress empfinden. Und so schließt sich auch der Kreis. Man kann gar nicht sagen, dass beispielsweise so mobiles Arbeiten gut oder schlecht ist, sondern es kommt sehr stark darauf an, wie es eben tatsächlich dann vom Einzelnen auch gelebt wird.

Tobias Kirchhoff: Das heißt also sehr stark die Selbstorganisation, oder Sie nennen es ja auch an anderer Stelle die Arbeitsgestaltung, auch dieses Job Crafting, das spielt ja auch mit rein. Und das ist ja schon für manchen ein Paradigmenwechsel auch gewesen. Während ich auf der Arbeit sehr viele Sachen vorgefunden habe oder auch bekommen habe, muss ich mich jetzt selber organisieren. Was gibt da Ihre Studie her, wie das geklappt hat?

Stephan Böhm: Ja, also ich möchte da vielleicht sogar auch noch einen Schritt weitergehen, weil Selbstorganisation ist wichtig und da ist dieses Grenzmanagement, was wir gerade besprochen haben, auch total entscheidend. Was wir aber in dieser Studie auch gesehen haben und was uns jetzt auch zu einer weiteren Studie motiviert hat, ist, dass der Einzelne ja nie allein wirklich entscheiden kann. Zumindest wenn er nicht soloselbstständig ist, wie er Dinge tut, sondern man ist immer beispielsweise in ein Team eingebunden, man hat eine Führungskraft etc. Das heißt, es kommt auch zu diesem Zusammenspiel mit dem Team und insofern kann der Einzelne das quasi nur durch Selbstorganisation gar nicht hinbekommen, weil selbst wenn der für sich sagen würde, Mensch irgendwie hier ab 18:00 schaue ich jetzt nicht mehr in meine Emails rein, wenn diese Person eine Führungskraft hat, die um 19:00 immer eine Mail schreibt und die sagt Du, ich erwarte hier auch eine Antwort, dann ist diese Abgrenzung schwierig. Und deswegen glaube ich, dass da eben auch aus Sicht der Führungskraft und auch auf der Teamebene sehr viel erfolgen muss, um das, sage ich mal, gesund zu gestalten, können wir vielleicht gleich noch ein bisschen mehr darauf eingehen, auch wenn es interessant ist, was wir da genau vorschlagen und was wir da auch machen. Das ist eben eine ganz zentrale Geschichte. Und dann gibt es eben auch noch Aspekte auf der Gesamtorganisationsebene, die Relevant sind. Aber letztlich sind diese Aspekte eben für diese gesunde Gestaltung ganz relevant.

Tobias Kirchhoff: Da möchte ich nämlich auch genau jetzt hin, auf die Teamebene. Sie haben es schon angesprochen, man lebt dann eben nicht allein. Man hat dann vielleicht einen Vorgesetzten, von dem Sie aber auch schon gesagt haben vorhin, die virtuelle Führungsqualität oder virtuelle Führungskompetenzen haben sich während der Studie verbessert. Was hat sich da genau verbessert? Haben Sie da ein Beispiel? Was bedeutet virtuelle Führungsqualität?

Stephan Böhm: Ja, das hat verschiedene Komponenten, die wir uns da anschauen. Also das sind einfach ganz technische Geschichten. Wie kommuniziere ich mit den Menschen, wie gebe ich den Mitarbeitenden weiter Orientierung, Wie gebe ich den Mitarbeitern weiter Feedback? Wie halte ich auch irgendwo mein Team als Ganzes zusammen? Wie halte ich so einen Groupspirit aufrecht? Ich kenne auch Ihre vorangegangenen Podcasts, auch wie vermittele ich weiter Purpose als Team, für den Einzelnen, als Ganzes? Das ist super relevant. Und wie halte ich auch irgendwo, sage ich mal, mein Gefühl auch, wo mein Team steht? Das ist die eine Sache und das ist, glaube ich, ganz wichtig. Wie merke ich beispielsweise auch, wenn es jemandem nicht gut geht, da kommen wir auch so in diese Themen rein, sag ich mal, gesunde Führung. Und das ist natürlich in diesem virtuellen Kontext, wo ich die Leute vielleicht am Tag nur eine halbe Stunde irgendwie in einem Online Meeting sehe, da kann ich das sehr, sehr schwer einschätzen. Ist die jetzt heute nur ruhig oder hat die heute jetzt weniger Themen gehabt? Da fällt sehr viel weg an weichen Signalen, die ich sonst irgendwie merke, wie die Menschen eben drauf sind und das ist was, was virtuelle Führung ausmacht eigentlich da trotzdem, sag ich mal, gemeinsam das Team eben zu gestalten und gemeinsam mit dem Team zu arbeiten. Das ist eine ganz zentrale Geschichte. Es hat aber natürlich auch wieder was mit Mindset zu tun und auch das sehen wir ganz stark in der Studie, dass so was wie Vertrauen ganz zentral ist, weil Führungskräfte, die am Anfang sehr stark darauf gesetzt haben, auf Anwesenheit, auf eine Facetime Kultur, auf eine Inputkontrolle, dass die scheitern in so einem virtuellen und hybriden Kontext, weil da fällt diese Kontrollmöglichkeit weg. Ganz generell mal davon abgesehen, dass das wahrscheinlich sowieso kein nachhaltiges Führungsverhalten in der heutigen Zeit ist und das sieht man auch mit so Themen wie Great Resignation und so in vielen anderen Bereichen. Aber die sind natürlich da am Anfang relativ stark an ihre Grenze gestoßen. Dagegen eben Führungskräfte, die eben starke Outputkultur haben, die starke Gemeinsamkeit irgendwo betonen, die haben es da schon mal leichter gehabt. Und trotzdem sehen wir einfach auch, dass diese technischen Aspekte, diese Führungsaspekte, dass die sich verbessert haben. Und da sehen wir auch tatsächlich große Branchenunterschiede. Also in manchen Branchen, und es sind tatsächlich auch so die üblichen Verdächtigen, in der IT zum Beispiel, wo natürlich viel immer schon virtuell zusammengearbeitet wurde. Die hatten von Anfang an sehr gute Werte und das ist recht stabil geblieben und in anderen Branchen auch beispielsweise so Öffentlicher Dienst etc., wo das sehr ungewöhnlich war, da haben wir am Anfang relativ schwache Werte gefunden. Es hat sich aber deutlich verbessert. Also es zeigt auch wieder, dass Führung was ist, was auch erlernbar ist und was trainierbar ist.

Tobias Kirchhoff: Also quasi örtlich getrennt sein und trotzdem sozial zusammenrücken. Sie sprachen es gerade an. Es hat dann auch mit Feingefühl für die Mitarbeiter natürlich zu tun. Und Sie sprechen auch in der Studie davon, dass es wünschenswert wäre, ein ausgeprägtes Inklusionsklima zu haben. Was meinen Sie damit?

Stephan Böhm: Das ist ein zweiter, sehr, sehr wichtiger Punkt, tatsächlich auf dieser Ebene Führungskraft und Team. Wie arbeitet so ein Team zusammen? Und das Thema Diversität und Inklusion ist ja eines, was heutzutage viel an Aufmerksamkeit gewonnen hat. Diversität in dem Kontext ist eigentlich, was uns unterscheidet. Das sind letztlich die Einteilung in gewisse Gruppen. Ob wir Männer sind, Frauen, ob wir jung sind, ob wir alt sind, ob wir Inländer sind, ob wir Ausländer sind. Das ist eigentlich, was uns trennt. Inklusion, so wie wir das verstehen und wie wir das auch in dieser Studie beschreiben, ist tatsächlich eben die Gestaltung von dem Klima, wie wir eigentlich zusammenarbeiten wollen. Und wir haben das in dieser Studie über Konstrukt gemessen. Wir nennen das den St. Gallen Inklusion Index. Der hat vier Dimensionen. Die erste ist Authentizität. Also inwiefern kann ich ich selbst sein am Arbeitsplatz? Und wir wissen, dass das eine ganz zentrale Komponente ist, um auch so die Einzigartigkeit, die man hat, einzubringen und auch die Ideen, die man hat, einzubringen und die Unterschiedlichkeit, die man hat, einzubringen. Das alleine reicht aber nicht. Ich brauche als zweites Zugehörigkeit. Da hatten wir schon mal gerade kurz drüber gesprochen. Das ist ein menschliches Grundbedürfnis. Und nur wenn ich das Gefühl habe, dass ich einerseits ich selbst sein kann, authentisch sein kann, aber gleichzeitig vom Team akzeptiert werde und gleichzeitig wirklich beim Team dabei bin, dann ist diese zweite Komponente erfüllt. Die dritte, das ist Chancengleichheit. Also habe ich unabhängig von Alter, Geschlecht die gleichen Möglichkeiten, Gehör zu finden, bei der Führungskraft? Entwicklungsmaßnahmen zu durchlaufen? Ohne das geht es nicht. Und die vierte, und das ist wahrscheinlich die schwierigste Komponente, wir nennen das Synergie. Das ist, inwiefern gelingt es uns eigentlich, diese Unterschiedlichkeit, die wir alle haben, zu etwas Neuem zu verbinden und dadurch letztlich besser zu werden, innovativer zu werden. Das sind diese vier Dimensionen, und die messen wir in dieser Studie sehr, sehr intensiv. Und wir haben da tatsächlich auch nachweisen können und da sind wir, glaube ich, eine der ersten Studien weltweit, die das zeigen, dass ein solches inklusives Klima im Team die Leute wirklich nachhaltig gesünder macht. Und was jetzt ganz, ganz spannend ist, das ist unabhängig von Minoritätenstatus. Also häufig wird irgendwie gesagt zu Diversität und Inklusion, das interessiert ja irgendwie nur bestimmte Gruppen und sag ich mal plakativ so Für den mittelalten weißen Mann ist das doch gar nicht relevant, sondern eher eine Gefahr. Das ist überhaupt nicht so. Und ich glaube, jeder hat das auch schon mal erfahren, dass man selbst als privilegierter Mensch, der aufgrund von demografischen Charakteristiken immer viele Privilegien erfahren hat, dass man sich trotzdem in gewissen Situationen auch exkludiert fühlen kann. Und gerade natürlich jetzt in so New Work Settings, kann das auch passieren. Und was wir zeigen, ist, dass eben für alle Gruppen gilt, dass dieses sich inkludiert fühlen, dass das die Leute wirklich gesünder macht. Und insofern ist das natürlich auch was, was Krankenkassen interessiert, wie die Barmer. Aber was natürlich auch jeden Einzelnen interessiert. Und zum Glück ist das auch was, was die bisherige Forschung gut ergänzt, weil wir wissen auch, dass zum Beispiel so ein inklusives Klima auch wirklich innovationskräftiger macht. Auch das haben wir zeigen können mit Daten, dass wirklich auch hart gemessene Innovationsraten hoch gehen in Teams, die einerseits divers sind, aber gleichzeitig dieses inklusive Miteinander hinbekommen.

Tobias Kirchhoff: Also ist in der Arbeitswelt das Team der Dreh- und Angelpunkt der Produktivität durch Inklusion, durch virtuelle Qualität, damit der Einzelne eben so performen kann, wie man es erwartet. Grundvoraussetzung für das Team ist natürlich die Organisation, dass die auch entsprechende Führungsstile zulässt, dass die auch dem Mitarbeiter, ich nenne es mal, die Freiheit gibt. Was haben Sie festgestellt? Wie sollte sich eine Organisation ausrichten als übergeordnete Instanz?

Stephan Böhm: Also ich kann da vielleicht tatsächlich mal ein konkretes Beispiel machen und vielleicht noch aus einem anderen Projekt kurz erzählen. Weil was wir gemerkt haben, ist, dass das Team eben sehr, sehr relevant ist. Aber auch das Team ist, wie Sie sagen. Eingebunden in ein größeres Ganzes, das Unternehmen. Und was wir eigentlich merken, ist, dass das Unternehmen als Ganzes sehr schwer Vorgaben machen kann, die spezifisch sind und die für alle Teams gleichermaßen gelten. Sie erinnern sich vielleicht auch, wenn wir es nur mal an diesem Thema Flexwork festmachen, dann erinnern Sie sich sicher an die Diskussion jetzt ,sage ich mal, nach Abklingen der Pandemie, dass dann Firmen wie Google, wie Apple sagen Alle zurück ins Büro. Nur so kann es funktionieren. Und dann gibt es andere Firmen wie zum Beispiel SAP, die sagen, nee, work from everywhere war schon immer unsere Philosophie, wir machen das weiter. Für ein Unternehmen als Ganzes ist es, glaube ich, schwierig, das für alle zu entscheiden. Und es führt oft eben, sage ich mal, zu Widerständen. Und deswegen, was glaube ich, Unternehmen gut machen können, ist, dass sie einerseits quasi Freiraum geben, also einen möglichst breiten Rahmen für alle schaffen, wo viel möglich ist, aber dann wieder die, sag ich mal, Verantwortlichkeit runter delegieren ins Team und in die Führungskräfte. Da kann ich vielleicht ein ganz kurzes Beispiel bringen. Wir machen gerade ein größeres Projekt mit der Audi AG. Und dort ist eben genau dieses Thema aufgekommen. Wie wollen wir eigentlich während, aber vor allem auch nach Corona zusammenarbeiten? Und was wir da die Chance hatten, war, eine randomisierte Feldstudie zu machen. Also wir haben 109 Teams tatsächlich in dieser Studie drin und davon haben ungefähr die Hälfte, so um die 55 Teams, haben eine Intervention bekommen und die andere Hälfte hat es nicht bekommen. Und wir haben vorher Daten erhoben und drei Mal danach und haben geschaut, wie wirkt diese Intervention wirklich kausal? Wie man das sonst eher aus der Medikamentenforschung kennt. Und was hat diese Intervention gemacht? Die hat eigentlich die Teams dazu gebracht, mal offen zu diskutieren, wie sie in Zukunft zusammenarbeiten wollen. Also eine gewisse, wir haben das Digitalisierungs Spielregeln genannt. Wie wollen wir in Zukunft beispielsweise hybrides Arbeiten gestalten? Und es sind oft so ganz einfache Fragen. Das kann so sein, Wie oft wollen wir in Zukunft irgendwie ins Office kommen? Wie gehen wir mit Erreichbarkeit um? Ist es okay, wenn uns die Führungskraft am Wochenende anruft oder nicht? Was ist mit Kommunikationsmedien? Wann greifen wir zum Telefon? Wann ist es nötig, dass wir uns persönlich sehen für gewisse Konfliktgespräche etc.? Und was wir eben schon vermutet haben vorab ist, dass viele dieser Erwartungen eigentlich nicht expliziert sind, also dass jeder da so sein persönliches Gefühl hat, aber weder Führungskräfte noch Mitarbeitende wirklich wissen, was die anderen voneinander erwarten und dass so eine Expliziierung dieser Inhalte in so einem Workshop helfen würde, dieses Miteinander quasi deutlich zu verbessern. Und das finden wir auch in dieser Studie sehr, sehr eindrücklich, wirklich mit kausalen Ergebnissen. Dass Teams, die so einen Workshop durchlaufen, anschließend ein deutlich klareres gemeinsames Mindset haben, wie sie eigentlich zusammenarbeiten wollen und dass sich das auch wiederum auf Performanz auswirkt, dass sich das auf emotionale Erschöpfung positiv auswirkt, also diese reduziert und dass generell diese Teams sich als deutlich leistungsfähiger und stärker irgendwie empfinden. Und das ist schon ein tolles Resultat, wenn man überlegt, dass das eigentlich ein halbtägiger Workshop ist, der das nach vorne bringt. Und eben, um da die Frage vielleicht nochmal abzuschließen, ich glaube, das ist, was Unternehmen tun können, momentan ist, dass sie, sage ich mal, diese Chancen, die es da gibt, annehmen, diese gewisse Flexibilität zeigen, aber gleichzeitig auch nicht glauben, dass sie alles irgendwo entscheiden können. Das ist nämlich schwer, weil eben gerade große Unternehmen sehr, sehr heterogen sind. Da gibt es sehr viel unterschiedliche Erwartungen. Und da wieder zu sagen, wir entscheiden das da, wo es wirklich relevant ist, nämlich zum Beispiel bei Teams, bei Führungskräften etc. Ich glaube, das ist eine ganz gute Strategie.

Tobias Kirchhoff: Anscheinend ist ja Audi das klar gewesen, dass man da was machen muss. Was sagen Sie den Organisationen oder den Firmen, die eher konservativ, ich nenne es mal so, eingestellt sind? Das heißt also sehr stark jetzt wieder zurückgehen auf die Präsenz, weil die Firmenkultur eher, ich sage mal, eine steuernde Kultur ist oder eine sehr zentralistische Kultur. Was sagen Sie denen?

Stephan Böhm: Also ich glaube, dass wir sehen das auch. Also wir haben uns auch so Kulturtypen tatsächlich in der Studie angeschaut. Wir haben uns dann zum Beispiel eher so marktorientierte Firmen angeschaut, eher so Clan-orientierte Firmen oder eben auch mehr so tatsächlich hierarchisch geführte Unternehmen. Und die haben generell natürlich ein größeres Problem, diesen Wandel eigentlich gut hinzubekommen. Das sehen wir auch ganz klar in den Daten. Ich glaube, dass man diesen Unternehmen schon noch sagen muss, dass sie es eigentlich anders machen sollten. Ich glaube aber ehrlich gesagt, dass sie es auch zunehmend merken. Und das kann auch bis zu einer Abstimmung mit den Füßen führen, weil, wie sie es ja auch in anderen Podcasts auch wirklich richtig herausgearbeitet haben, wir haben momentan einen Arbeitnehmermarkt und das ist wirklich so, dass dieser war for Talents, von dem wir vor 20 Jahren dachten, ja vielleicht ist es so eine McKinsey Floskel, aber wer weiß, ob das wirklich kommt. Ich glaube, dass den mittlerweile jeder spürt, ganz egal, ob das irgendwie ein lokaler Schreiner ist, ob das eben eine Unternehmerin ist, die ihr Unternehmen führt. Das spüren wir alle. Und ich glaube, da sich völlig abzukoppeln von dem, was Mitarbeitende wollen, das wird zunehmend problematisch und ich glaube, das verstehen mittlerweile viele Unternehmen. Und vielleicht noch das zweite, was ich auch Unternehmen oft sage und was ich sehr, sehr spannend finde als Konzept, ist generell dieses Thema evidenzbasiertes Management. Also lasst uns mal in die Zahlen schauen. Lasst uns tatsächlich mal auch so starke Forschungsdesigns machen und lasst uns wirklich mal gucken, was passiert. Lasst uns ein bisschen wegkommen von diesem Bauchgefühl und wir haben das irgendwie in so einem Managementbuch so gelesen, oder wir haben es uns selber so gedacht, oder das sind 30 Jahre Arbeitserfahrung. Nee, lasst uns das wirklich mal mit starker Evidenz hinterlegen und schauen, wie wir eigentlich die Firma, das Unternehmen besser machen können. Und ich glaube, das ist was, was zum Beispiel in der ganzen New Work Debatte eigentlich auch zu kurz kommt, dass man da ein Stück weit reingeht und mal guckt. Lasst uns mal wirklich neue Konzepte mit starken Designs ausprobieren und lasst uns lernen, was wir besser machen können.

Tobias Kirchhoff: Ein Konzept ist für mich etwas, was sie gar nicht in der Studie direkt untersucht haben, sondern was ich in einem Aufsatz von Ihnen gelesen habe. Das Thema der Stärkenausrichtung. Das ist ja gar nichts Neues, oder andersrum formuliert, wir sind ja eher in Deutschland, und Sie können mich gleich gerne berichtigen, wir sind ja eher in Deutschland defizitorientiert. Das heißt, bei allen tollen Sachen, also wenn, ganz einfach einfaches Beispiel, wenn meine Kinder ein tolles Zeugnis nach Hause bringen, neigen wir eher dazu, auf die eine Vier oder die eine Drei zu schauen als auf die, weiß ich jetzt nicht, elf Einsen. Vielleicht können Sie dazu auch noch mal was sagen. Also dass dieses eher nach den Stärken zu schauen, als defizitorientiert vorzugehen.

Stephan Böhm: Also mal zunächst Glückwunsch an Sie, wenn Ihre Kinder nur eine vier nach Hause bringen. Ich habe teilweise das andere Thema, dass ich nach den Einsen und Zweien suchen muss. Aber Sie haben völlig recht und es geht tatsächlich mit dem Schulsystem schon los aus meiner Sicht. Ich glaube, sowohl Lehrende wie auch Kinder sind oft darauf konditioniert, quasi Schwächen irgendwie zu suchen. Das kann man auch euphemistisch als Entwicklungspotenziale definieren. Aber dennoch geht es am Ende um Schwächen suchen. Und das ist einfach was, was wir im Personalmanagement 20, 30 Jahre einfach gemacht haben. Wenn man an so ein klassisches Mitarbeitergespräch denkt, da gibt es vielleicht drei Minuten Lob für irgendwas und dann wird viel geredet, was man irgendwie noch besser machen könnte. Und besser zu werden ist eine tolle Geschichte. Und Komfortzonen verlassen ist eine tolle Geschichte. Aber, und das ist tatsächlich der ganz große Unterschied, wir dürfen die nicht aus dieser Defizitorientierung heraus verlassen, sondern wir müssen die aus der Stärkenorientierung heraus verlassen. Wir müssen das, was wir gut machen, eigentlich noch besser machen und dadurch gewinnen wir Selbstvertrauen. Und dadurch werden wir uns auch nochmal völlig neue Bereiche erschließen können, an die wir vielleicht gar nicht denken. Also wenn Sie einen Schüler haben, der gut in Deutsch ist und schlecht in Mathe und der wird in Deutsch tendenziell gefördert und noch besser und hat das Gefühl, er hat da richtig Selbstwirksamkeit, wie wir das auch nennen in der Psychologie, Dann wird der an der Schule insgesamt mehr Spaß haben und dann wird er auch in Mathe besser werden. Wenn sie denen nur mit Mathe dann traktieren, wird er den Spaß an der Schule insgesamt verlieren und das ist eine große Gefahr. Aber jetzt konkret In Unternehmen ist es genauso. Und was wir machen, um dieses Thema auch zu adressieren und wir machen das auch mit bekannten Industriekonzernen und das ist auch interessant, wenn man das nicht nur im White Collar Bereich, sondern wir machen das auch im Produktionsbereich, wir nennen das stärkenbasiertes Job Crafting. Was ist das? Das bringt eigentlich zwei Konzepte zusammen. Zum einen identifizieren, was sind Stärken, Was ist es, was die Leute wirklich, wirklich gerne tun und gut tun. Und wir holen da immer das Umfeld rein, Also wir fangen da immer an und dann lassen wir die Leute zum Beispiel ihre Kollegen befragen, ihre Familie befragen, was ist es, was ich wirklich gerne tue, was ist, was ich gut tue und dann bringen die das mit, quasi als Feedback. Und das ist auch schon mal zu sehen, wie das die Leute verändert. Wir nennen das auch Appreciation Shower. Nur mal diese positive Wertschätzung auch von anderen zu erfahren, die sind wirklich physisch drei Zentimeter größer hinterher, da ist man gar nicht dran gewöhnt. Vielen ist das erstmal peinlich, irgendwie positives Feedback zu bekommen. Das ist der erste Schritt. Dann aber, und das ist eigentlich das Interessante, dann überlegen wir in diesen Workshops wie können wir Arbeit so umgestalten, dass mehr von diesen Sweet Spots zum Einsatz kommt, also dass wir mehr dieser Stärken nutzen können. Und jetzt sind wir genau beim gleichen Thema wie vorhin. Wenn ich das alleine mache und das war früher so, da war Job Crafting ein individuelles Konstrukt, dann kann der Herr Kirchhoff oder der Herr Böhm, wir können schon ein bisschen unsere Arbeit umgestalten, aber das endet immer da, wo die Arbeit vom Kollegen irgendwie anfängt. Und das ist ein Problem, quasi, weil ich habe dann irgendwie nur einen gewissen Bereich, wo ich irgendwie was verändern kann und deswegen machen wir das mittlerweile nur noch im Team Setting, dass wir sagen, wie kann eigentlich ein Team als Ganzes über Prozesse, über Arbeit neu nachdenken, so dass tatsächlich der Einzelne mehr von dem machen kann, was ihm oder ihr Spaß macht? Und wir sehen, dass das tatsächlich funktioniert, Weil das ist wiederum das Schöne - Menschen sind unterschiedlich. Und der eine ist gern mit Zahlen und Controlling unterwegs und der andere ist ein Menschenfänger und ist einfach gerne draußen und so und teilweise lassen sich wirklich diese Aufgaben so umgestalten, dass man mehr von dem machen kann, was man eigentlich wirklich gerne tut. Und wie gesagt, selbst im Produktionsbereich. Und wir machen das auch in einer groß angelegten Studie in der Schweiz, wo wir wirklich zeigen, dass das super nachhaltige Effekte hat auf die Arbeitsmotivation, auf die Gesundheit, auf die Performanz. Und das ist, glaube ich, etwas, was auch ein ganz konkretes Tool sein kann, um so was wie New Work, was eben oft ein bisschen buzzwordig ist, wirklich mit Leben zu erfüllen.

Tobias Kirchhoff: Wir haben jetzt über Social Health im Allgemeinen gesprochen, über Ihre Studie. Der Einzelne, die Einzelne. Was kann er / sie tun? Was sollte man im Team tun? Wie sollen sich Organisationen aufstellen? Auch das Thema Stärkenausrichtung. Wenn sie unseren Hörerinnen und Hörern eine Botschaft mitgeben können / sollen jetzt, was wäre das?

Stephan Böhm: Also es ist tatsächlich schwierig, weil wir all diese Ebenen haben. Aber wenn wir noch mal bei diesem Thema vielleicht tatsächlich inklusives Team bleiben, dann könnte man das schon mitgeben. Ich glaube, dass wir alle eigentlich jeden Tag eine Chance haben, inklusiv zu sein. Und ich glaube, das hat jeder mal erlebt, der eben auf eine Party gekommen ist und niemanden kannte. Und dann gibt es da eben teilweise so Gruppen von Leuten, die bleiben zusammen stehen, die nehmen dich nicht auf. Das ist in Köln wahrscheinlich seltener, aber in Bayern und in der Schweiz kommt es häufiger leider vor. Und dann gehen eigentlich die Gäste schnell wieder. Die fühlen sich nicht angenommen. Die bringen einfach alles, was sie eigentlich anbieten können, bringen sie nicht ein und die werden nach Hause gehen. Und dann gibt es auf der anderen Seite Gruppen, die sich aktiv öffnen, die die Leute reinholen, die sagen Wer bist du? Was willst du, was kannst du? Und die einfach gemeinsam voneinander lernen. Und ich glaube, das ist was, das kann jedes Kind schon lernen und sollte das lernen. Das kann jeder Erwachsene, jede Führungskraft, jede Managerin tun. Ich glaube, da können wir alle einen Unterschied machen. Und das ist in meinen Augen eine der ganz zentralen Geschichten. Wenn wir als Gesellschaft, sage ich mal, die nächsten Jahrzehnte irgendwie gut zusammenleben wollen und gut zusammenarbeiten wollen, dann sollten wir da anfangen.

Tobias Kirchhoff: Herr Professor Böhm, das war ein ganz tolles Schlusswort. Auch vielen Dank für dieses inspirierende Gespräch. Ich nehme mit, es wird New Work kommen. Also es wird sich nicht wieder zurückdrehen. Es hängt vom Einzelnen ab, wie er sich selber organisiert, aber vor allen Dingen auch bestimmt durch die Gruppe. Sie haben gerade noch mal das Thema der Inklusion angesprochen und auch, dass die Organisation darauf aufbauen muss und am Ende des Tages auch das Thema der Stärkenausrichtung. Vielen herzlichen Dank für das Gespräch und an euch da draußen ein herzliches Dankeschön fürs Zuhören. Das war eine weitere Folge von lead:dgut. Ich freue mich sehr, wenn ihr Anmerkungen, Fragen, Kritik oder Lob habt. Schreibt mir an leadgut@tuv.com oder schaut auf unserer Seite vorbei www.tuv.com/leadgut Ich hoffe, ihr kehrt, so wie ich, inspiriert in euren Arbeitsalltag zurück. Mein Name ist Tobias Kirchhoff. Bleibt neugierig.

Outro: lead:gut - Inspiration für Führungskräfte.

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