Stephan Grabmeier - Besseres Wirtschaften
Shownotes
Stephan Grabmeier ist Future Designer und Kopföffner. Von sich selbst sagt er: „Ich inspiriere Menschen, sich zu entfalten, um eine bessere Welt zu gestalten.“ Eine Transformation unserer Wirtschaft – nichts weniger strebt er an. Denn nur das mache uns "enkelfähig". Was das bedeutet, wie genau das gelingen kann und was die Aufgaben sind für Managerinnen und Führungskräfte, das möchten wir von ihm wissen. Und das führt uns zu den Fragen nach der konkreten Gestaltung von Führungsaufgaben:
• Welchen Beitrag kann (Weiter-)Bildung leisten und wie muss sie sich von der Vermittlung rein lexikalischen Wissens unterscheiden? • Wie muss Arbeit organisiert sein, damit jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin sein oder ihr bestes Potenzial ausschöpfen kann? • Was gibt Menschen eine Zugehörigkeit und Identität? Und wie können Führungskräfte das vermitteln? • Wie verständigen wir uns über unsere individuellen Wertekonstrukte?
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Stephan Grabmeier: Ein Unternehmen muss, je nachdem, ob du 10, 100.000 oder 10.000 Mitarbeiter hast, du kannst es nicht mit einem generellen Purpose, sondern du brauchst diese Individualität wieder. Jeder muss die Chance haben, sich wiederzufinden. Und in diesem Sweet Spot, da entsteht die Energie, da entsteht die Kraft, da entsteht die Freude, da entsteht die Kreativität. Deswegen ist es so wichtig, über das Thema Haltung und Purpose und eine gemeinsame Ausrichtung zu sprechen.
Intro: lead:gut. Inspiration für Führungskräfte.
Tobias Kirchhoff: Hallo, Ihr hört lead:gut - Inspiration für Führungskräfte, den Managementpodcast von TÜV Rheinland. Ich bin Tobias Kirchhoff und gemeinsam mit meinen Gästen bespreche und hinterfrage ich aktuelle Leadership-Konzepte und -Ideen. Alle reden von New Work. Doch geht es nicht eigentlich um Good Work, um gute Arbeit? Wie schaffen wir einen Sinn in unserem Tun? Darüber und über besseres Wirtschaften spreche ich mit meinem heutigen Gast Stephan Grabmeier. Stephan Grabmeier, liebe Hörerinnen und Hörer, ist Future Designer und Kopföffner. Von sich selbst sagt er: „Ich inspiriere Menschen, sich zu entfalten, um eine bessere Welt zu gestalten.“ Eine Transformation unserer Wirtschaft – nichts weniger strebt er an. Denn nur das mache uns "enkelfähig", sagt er. Was das bedeutet, wie genau das gelingen kann und was die Aufgaben sind für Managerinnen und Führungskräfte, das möchte ich von ihm wissen.
Stephan Grabmeier: Das kann so nicht funktionieren. Allein, wenn du dir die Plastikberge anschaust, wenn du den Überkonsum, den Elektroschrott, all diese Dinge (siehst). Jetzt erleben wir das in Deutschland ja kaum, weil wir sehr geschickt darin sind, die Dinge zu verschiffen. Wir verschiffen alles irgendwo in Länder, wo es wir zumindest nicht sehen. Zumindest ist es uns einige Jahre so lange gelungen. Die Länder machen auch alle zu, aber letztendlich ist es das lineare Prinzip. Wenn man das mal als Haltungsprinzip nimmt: „Wie wirtschaften wir?“ Wir nehmen etwas, wir machen etwas, wir schmeißen es weg und nach uns die Sintflut. So leben wir.
Tobias Kirchhoff: Hat das vielleicht auch damit zu tun, als die Grundfeste unseres Wirtschaftens, nämlich des Kapitalismus, begründet worden sind, da hat man ja auch nicht global gedacht. Und wir leben ja aber in einer globalisierten Welt. Hat das damit zu tun?
Stephan Grabmeier: Wir sehen ja, dass die Lokalität und die Regionalität wieder viel, viel stärker zunimmt. Wir sehen so an den ganzen Thema Getreide, was wir mit der Ukraine momentan haben. Also fällt einer raus, der für einen großen Teil des Weltmarktes verantwortlich ist, was passiert dann? Und das sind ja Kettenreaktionen, die ja binnen Wochen sofort Auswirkungen haben und eben nicht nur bei ein paar 100 Menschen, sondern bei ein paar 100 Millionen Menschen stellenweise. Und das ist die Frage: Sind die Systeme resilient? Und sie sind nicht resilient, wenn sie auf komplette Effizienz getrimmt sind und da findet schon in Teilen ein Umdenken statt.
Tobias Kirchhoff: Können wir das auch ein bisschen konkretisieren? Wir sind ja ein Podcast für Führungskräfte, Unternehmen, Manager. Hast du da mal ein Beispiel, wo wir konkret sehen können, zirkulare Wirtschaft, wie sowas funktionieren kann?
Stephan Grabmeier: Also, ich versuche es an einem Beispiel: Ich habe vor zwei Wochen ein spannendes Unternehmen kennengelernt. Textilunternehmen ist ein Unternehmen, ist eine Unternehmensgruppe, haben fast zwölf Marken. Chiemsee ist die bekannteste Marke, also aus dem Textilumfeld heraus. Und die beschäftigen sich schon jeher damit, wie sie ihre Produktion (gestalten), und die Textilindustrie ist eine unglaublich schadhafte Produktion. Allein was an Chemikalien, was an Baumwolle, was an Produktionen, was an Arbeitsgesetzgebung usw. damit verbunden ist. Und die haben eine Marke als eine Art, ich würde mal sagen, Experimentierraum gegründet und gesagt: Wie schaffen wir es, dass wir eine Textilmarke komplett zirkulär aufbauen? Sprich alles, was du anziehst, dein T-Shirt, dein Hoodie, die Knöpfe, die dran sind, deine Bändchen, die dran sind und so weiter. Dass das alles kompostierbar und wieder zurückführbar ist. Und das hört sich jetzt eher so an: Wow, oder wie sind denn die Klamotten, um Gottes willen, wie sehen die Klamotten aus? Ist das ein Jutesack? Also das ist super, super stylish. Die haben eine Schauspielerin dabeigehabt, die für diese Marke auch steht. Und wenn du dir die Kleidung ansiehst, denkst du dir: „Wow, das sieht wirklich gut aus.“ Und sie verbinden eben beides. Ist gut, sieht gut aus. Die sind preislich nicht anders als andere Kleidung und sie führen es komplett zurück. So, das ist noch nicht der Massenmarkt, aber sie sind in einem Segment, wo sie sagen: „Wir lernen, wir experimentieren und wir können das sukzessive auf unsere anderen Marken übertragen.“ Also, wir müssen dann in eine Skalierung kommen, dass die aus dem Investment Case in einen profitablen Case kommen.
Tobias Kirchhoff: In deinem Buch "Future Business Kompass" besprichst du ja vier Richtungen, die wichtig sind, um in ein besseres Wirtschaften zu kommen. Du sagst die Unternehmen, die Individuen, das Thema Bildung ist ja ganz wichtig und dann letztlich die Gesellschaft als solches. Ich würde mal mittendrin anfangen, weil, dass Unternehmen da was tun sollen, die Gesellschaft, das ist, glaube ich, sehr, sehr deutlich. Warum, ausgerechnet das Thema Bildung?
Stephan Grabmeier: Also Bildung, glaube ich, ist ein Schlüssel für viele Transformationen. Wenn wir auf die Nachhaltigkeit oder aufs bessere Wirtschaften schauen, dann müssen wir Dinge neu lernen. Und wir sind mit Glaubensbekenntnissen, so wie wir in den Podcast eingestiegen sind, dass wir immer noch dran glauben, dass das lineare Wachstum das einzige ist, das Take-Make-Waste das Einzige ist. Wenn du mit Menschen sprichst und jetzt vorher bewusst gesagt, das versteht jeder Erstklässler, dann denkst du dir okay, das kann eigentlich gar nicht funktionieren. Ein endlicher Planet kann nicht unendlich wachsen. Ich mache das oft bei meinen Vorträgen zum Beispiel so und sage: „Nehmt euch mal ein weißes Blatt Papier und zeichnet eine unendliche Kurve, eine Linie.“ So, dann irgendwann sagen die ersten: „Moment, es geht ja gar nicht, das Blatt ist aus.“ Dann sage ich: „Siehst du? Und genauso ist es mit unserem Planeten.“ So, also wir brauchen die Zeit, um Glaubensbekenntnisse abzulegen, um neu zu lernen. Und wir brauchen aber auch Methoden und Handwerkszeug, um Dinge neu zu gestalten, Geschäftsmodelle neu zu gestalten, Produkte neu zu gestalten. Bleiben wir noch mal bei dem Beispiel Kreislaufwirtschaft. Das ist ein anderes Designprinzip, was dahintersteckt, weil du eben von Beginn an deine Produkte und aber auch möglicherweise ein Geschäftsmodell komplett anders denkst. Das kann man lernen. Das ist überhaupt kein Hexenwerk. Aber es sind Dinge, die wir lernen müssen und wo wir von den Glaubensbekenntnissen in neue Lernfelder, in neue Experimentierfelder eintauchen müssen. Und deswegen, glaube ich, ist die Bildung einer der stärksten Hebel, nicht der einzige, aber einer der stärksten.
Tobias Kirchhoff: Du schreibst ja auch in deinem Bildungskapitel, oder du sprichst davon, dass wir wegkommen müssen von diesem lexikalischen Wissen und auch weg vom Bulimie-lernen. Also alles rein, um dann bei einer gewissen Veranstaltung dann wieder alles rauszulassen. Wie soll man dann vorgehen?
Stephan Grabmeier: Also denk an unsere Schulzeit und ich sehe es bei meinen Kindern, da hat sich noch nicht wirklich viel verändert. Es ist wirklich ein Bulimie-Lernen. Es ist ein Lernen auf die nächste Aufgabe. Also ich glaube, dass wir dieses situative oder on-demand-Lernen, dass wir hier einfach eine viel breitere Vielfalt an Lernen brauchen. Wie lerne ich von Vorbildern? Wie lerne ich durch verschiedene, da seid ihr natürlich Spezialisten, von verschiedenen Medien? Bist du eher der Audio-Typ, der visuelle Typ, lernst du eher durch das Tun, durch das selbst Ausführen, durch das Lehren ja, auch, das ist der höchste Lernfaktor, den wir haben. Also wo haben wir die unterschiedlichsten Elemente des Lernens und wie sieht eine individuelle Learning Journey auch aus? Also ich weiß nicht, vielleicht lernen wir beide völlig unterschiedlich vom Rhythmus her, vom Biorhythmus her, von dem, wie wir Content nutzen, wie wir Dinge anwenden, von unserer Expertise, alleine schon von unserem Reifegrad. Wo steigen wir bei bestimmten Themen ein? Und das muss man doch berücksichtigen im Lernen. Und deswegen ist ein reines Bulimie-Lernen und sagen, es steht so im Lehrplan oder im Curriculum und lern das bitte und wir machen einen Test dahinter. Weiß ich nicht, glaube ich nicht dran, dass es das Nachhaltigste ist. Und das beste Beispiel sind meine Kinder, wo man das sieht. Also die Leidenschaft und die Passion liegen oft für ganz andere Dinge, die aus dem schulischen Lernen überhaupt nicht kompatibel sind.
Tobias Kirchhoff: Siehst du denn schon irgendwo in einem Land oder so, wo man eher auf den Menschen eingeht und das Lernen nicht um des lexikalischen Wissens anlegt, sondern um wirklich dem Menschen Tools zur Verfügung zu stellen, damit er anders durchs Leben kommt?
Stephan Grabmeier: Also jetzt als Beispiel, glaube ich, kann man relativ einfach sagen, dass die nordischen Länder anders damit umgehen. Wenn man jetzt in den PISA-Studien usw. sieht ist, gibt es einfach dort auch ganz eklatante Unterschiede.
Tobias Kirchhoff: Was machen die nordischen Länder anders?
Stephan Grabmeier: Also ich glaube, dass die didaktische Gestaltung, die individuellen Lern-Journeys, die Wege anders sind. Das schönste Beispiel ist aus meinem persönlichen Umfeld Wir haben ein behindertes Kind, wir haben einen Jungen, 15 Jahre, der hat Downsyndrom und er geht in eine inklusive Schule mit einem besonderen pädagogischen Konzept. Und dieses Konzept sieht vor, dass es nach deinem individuellen Lernrhythmus ist. Also da gibt es, ich erinnere mich an ein Mädchen, die in Chemie, die absolut so was von brillant war. Die hat jetzt dann beispielsweise nicht in der sechsten Klasse gelernt, sondern eben schon in der neunten, oder? Also es geht immer darum, dass du auf deinem individuellen Lernpfad deine Learning Journey durchdesignst und das ist so was von genial. Und deswegen glaube ich, das ist etwas, was im Prinzip, in den Nordic Ländern stärker vorhanden ist. Dann ist es etwas, was eben auf die Persönlichkeit eines Menschen passt und nicht ausschließlich auf einen Lehrplan bezogen.
Tobias Kirchhoff: Also, wenn ich an meine Kinder denke, ich glaube, das wäre auch genau das Richtige für die, dass sie auch einfach ein bisschen versetzt, auch nach ihrem Gusto lernen können und dann, wo sie sich heute sehr schwertun, dann einfach auch später nachholen können, dass das auch nicht zeitlich so festgesetzt ist.
Stephan Grabmeier: Und wenn du das in Gänze siehst, dieses Konzept, das funktioniert wunderbar und die Schule hat den Zulauf und ich würde mir wünschen, wir hätten es in anderen, also jetzt mal Schule, Studium, aber sicherlich auch wenn wir in unsere Betriebe gucken, dann sind wir da noch nicht am Ende der Fahnenstange. Was jetzt gute didaktische Konzepte betrifft.
Tobias Kirchhoff: Das wird uns ja eh noch betreffen. Stichwort Arbeiterlosigkeit, dass wir in den Unternehmen die Menschen aufqualifizieren müssen und dass sich Unternehmen auch darum kümmern müssen. Und Stichwort New Work, besseres Wirtschaften. Was müssen Unternehmen denn tun, um dahin zu kommen?
Stephan Grabmeier: Zu New Work meinst du? Ich durfte Ende der 90er den Frithjof Bergmann ja kennenlernen, dem man ja zuschreibt, der Vater oder einer der geistigen Väter von New Work zu sein. Und das hat meinen Blick verändert auf das System Arbeit, weil er systemisch völlig anders gedacht hat. Das war eine Sozialutopie, die er eigentlich gehabt hat. Wir teilen das System, wir dritteln das Ganze. Es ist nicht nur Lohnarbeit, sondern es ist auch die Erwerbsarbeit. Und es ist das, was du wirklich, wirklich tun willst. Also, wenn wir heute die ganze Purpose-Diskussion usw. angucken, dann liegen viele Ursprünge ja darin. Von daher ist mir die ganze New-Work-Diskussion über und ich habe mich da ein bisschen zurückgezogen. Weil, das war so eine selbstbeweihräuchernde Bubble, die dann irgendwie über ein paar Methoden kommt und sagt: „Wir brauchen jetzt Achtsamkeit.“ Das ist so ein Containerbegriff. Also baut ein Unternehmen Hierarchiestufen ab. Wir verflachen Führung, und dann ist es New Work. Bist du im Agilen unterwegs, dann richtest du alles nach diesen Methoden aus. Bist du Achtsamkeitstrainer, dann gehört das zu New Work und, und, und. Nun, also jeder kippt ja irgendwo etwas hinein. Letztendlich ist für mich die alles entscheidende Frage, und ich stelle die Frage so häufig, wenn ich zu Vorträgen usw. eingeladen werde: „Wenn New Work die Antwort ist, was ist eigentlich die Frage?“ Und viele stellen sie zu wenig, weil sie sagen: „Oh, wir brauchen und wir müssen. Sind wir schon alle agil? Und wo ist unser Reifegrad-Modell und dieses und jenes?“ Aber was ist eigentlich die Frage?
Tobias Kirchhoff: Was ist die Frage?
Stephan Grabmeier: Und meine Frage ist...
Tobias Kirchhoff: Ja?
Stephan Grabmeier: Wie muss Arbeit organisiert sein, damit jeder Mitarbeiter jede Mitarbeiterin sein oder ihr bestes Potenzial ausschöpfen kann? Wie muss ich Arbeit organisieren, dass jeder sein bestes Potenzial ausschöpfen kann? Und das ist jetzt wieder, wenn wir vom Lernen kommen: Was ist deine Individualität? Die ganzen Diskussionen. Viele sagen New Work ist jetzt hybrid Work und ist Homeoffice. Ach, ich kann es nicht mehr hören. Es kommt auf den Kontext drauf an und du bist vielleicht ein anderer Typ, weil du sagst: „Ich bin wahnsinnig gern im Büro und ich bin gerne drei oder vier Tage hier, weil vielleicht kann ich zu Hause überhaupt nicht arbeiten. Meine Kinder, meine Frau. Ich weiß nicht, weil die Gegebenheiten nicht passen.“ Andere sagen: „Ich bin lieber zu Hause und ich vermeide es, ins Büro zu kommen aus den und den Gründen.“ Also, wo ist diese Individualität? Und ich glaube, wir haben so viele Möglichkeiten. Wir haben die technischen Möglichkeiten, wir haben die räumlichen, wir haben sie intellektuell, wir müssen die Haltung dazu entwickeln, sozusagen. Wie baue ich das beste System Arbeit auf, um das höchstmögliche Potenzial schöpfen zu können?
Tobias Kirchhoff: Und da sind wir ja auch beim Thema was du auch sehr, ich sage in dem Fall mal, anstrengst. Weil das finde ich ganz spannend, wo du sagst:“ New Work kann ich nicht mehr hören.“ Bei mir ging das irgendwann mit dem Begriff Purpose, der ja auch sehr, den du sehr häufig verwendest. Was ist denn der Unterschied? Also, früher haben wir das Haltung genannt oder ich habe es so genannt. Warum sagt man es auf Neudeutsch? Warum braucht es ein neues Narrativ um Haltung, die ja jeder eigentlich auch immer schon haben sollte? Aber was ist anders an Purpose als eine Haltung, die ich verkörpere?
Stephan Grabmeier: Es ist super formuliert. Ich würde erst mal sagen gar nichts. Weil, wenn die Haltung, also dein Haltungsprinzip ist, wenn es das ist, wem oder was du Bedeutung schenkst, dann würde ich das als Synonym nennen für Purpose. Da folge ich nicht ganz dem Simon Sinek in seiner "Why, How, What", weil das Why ist eher etwas, was der Sache auf den Grund geht - Warum? Sondern es geht eher um das wofür. Was möchte ich bezwecken? Es ist eher ein zukunftsorientiertes Thema. Also ich habe ein Modell, mit dem ich viele Strategieprozesse begleite und das beginnt mit Antriebshebeln. Und es gibt äußere Antriebe. Wir haben also alles, was auf unser System einprallt, und es gibt den inneren Antrieb. Und der innere Antrieb ist all das, was mit dem Thema Haltung zu tun hat, mit dem Thema der Identität. Also du kannst eigentlich sagen, die Frage aller Fragen ist: „Wer bin ich und wer bin ich vor allen Dingen nicht?“ Das ist noch viel wichtiger: Wer bin ich nicht? Das ist eigentlich all das, was wir in unserer Kindheit, wenn wir groß werden, Pubertät, wir lernen ja kennen, wir grenzen ab. Da will ich rein, da will ich nicht rein. Wo ist die Zugehörigkeit? Und das hat sehr viel mit dem Thema Haltung zu tun. Nenne es Purpose. Du kannst es Vision nennen, du kannst es Prinzipien nennen. Bin ich total schmerzfrei.
Tobias Kirchhoff: Also wer bin ich? Und vielleicht sogar eher: Wo will ich hin? (Ist das ) sogar eher dann die Frage? Was ich dann wiederum ganz spannend finde, du assoziierst das ja unter anderem mit Unternehmen und da habe ich mich dann gefragt, als ich das gehört habe, haben wir, sagen wir mal, ein Vakuum von den üblichen Instanzen, also früher Religion, Staat, Gesellschaft, die ja letztlich geholfen haben, diese Prinzipien, meine Haltung zu unterstützen oder mir da geholfen haben, fällt das heute weg, so dass Unternehmen das geben müssen oder wie ist das zu verstehen?
Stephan Grabmeier: Super Frage. Sehen wir, wenn wir, wenn wir auf Megatrends und gesellschaftliche Entwicklungen schauen, weil Religionen haben ja den Zweck, dass sie dir Orientierung geben. Sie geben dir Sicherheit, sie geben dir Halt, sie geben dir eine Identität. Du tauchst in eine Identitätsraum-Community entsprechend ein, zumindest jetzt, hier im westlichen. Menschen strömen raus aus den Religionen, zum Beispiel. Oder Ehrenamtstätigkeiten, die in Vereinen stattfinden. Es wird alles weniger. Menschen strömen da raus, Menschen suchen Orientierung, Menschen brauchen Zugehörigkeit. So, wo hast du deine Zugehörigkeit? Was sich auftut, ist das nennen wir sogenannte Neo Tribes, also in der Trendsprache jetzt. Das sind Communities, die relativ rasch entstehen, also Fridays For Future als Beispiel ist ein sogenannter Neo Tribe, also etwas, was auch gar nicht dauerhaft sein muss. Das muss nicht über Jahrhunderte hinweg wie eine Religion in Anspruch nehmen, andauern, sondern es kann schon mal für einen kurzen Zeitraum, für vielleicht wenige Jahre usw. dauern. Aber es gibt Menschen für einen bestimmten Zeitraum eine Zugehörigkeit, eine Identität. Und das wird vielfältiger. Das wird viel diverser werden und deswegen kann man nicht mehr eben mit einem Identitätsprinzip einhergehen. Weil, du hast in jedem Identitätsraum unterschiedliche Wertvorstellungen, unterschiedliche Ausrichtungen, unterschiedliche wofür tun wir diese ganzen Dinge? Und das haben natürlich auch Unternehmen. Und deswegen ist die Wichtigkeit für Menschen: „Wem gehöre ich an und wem schenke ich eigentlich meine Zugehörigkeit? Wie passen meine Werte mit den Werten meines Unternehmens zusammen?“ Und ein Unternehmen muss, je nachdem, ob du zehn, 100.000 oder 10.000 Mitarbeiter hast, du kannst es nicht mit einem generellen Purpose, sondern du brauchst diese Individualität wieder. Also jeder muss die Chance haben, sich wiederzufinden. Und in diesem Sweet Spot, da entsteht die Energie, da entsteht die Kraft, da entsteht die Freude, da entsteht die Kreativität. Und deswegen ist es so wichtig, über das Thema Haltung und Purpose und eine gemeinsame Ausrichtung zu sprechen. Und diesem Dialog Raum zu geben.
Tobias Kirchhoff: Ich finde, das hört sich ganz, ganz toll an! Was ich mich gerade frage, ist: Führungskraft - Ich muss sehen, dass meine Leute effektiv sind, dass sie effizient sind, dass technisch alles gut organisiert ist, mit Kommunikation die Motivation heben. Und wenn ich jetzt auch noch das ganze Thema sinnstiftend aktiv angehen soll, wie kann eine Führungskraft das gestalten?
Stephan Grabmeier: Jetzt komme ich noch mal auf die Hebelwirkung zurück. Das, was ich einem Jahr gesagt habe, das Impact Business Design, das hat bestimmte Hebellogiken und der innere Antrieb ist der stärkste Hebel, den wir haben, wenn wir uns an den Physikunterricht zurückerinnern. Kleiner Hebel, eine kleine Kraftübertragung, großer Hebel hat eine große Kraftübertragung und die gemeinsame Identität und Purpose hat die größte Kraftübertragung, weil wir uns danach ausrichten können. Wenn ich als Führungskraft verstehe, was ist mein Wert, mein Anliegen, dann richte ich alles andere danach aus. Also wenn mein Purpose klar definiert ist, dann richte ich danach aus: „Wie will ich arbeiten? Wie wollen wir kommunizieren? Welche Technologien nutzen wir? Mit wem will ich arbeiten? Wer sind meine Kunden? Wer sind unsere Partner? Was stellen wir überhaupt her? Wie stellen wir überhaupt irgendwas her? Wie kommunizieren wir?“ Also, du leitest alles davon ab, und das ist immer dann, in der Verhaltensökonomie, sagt man das ist das Public Good, das höhere Gut. Also es geht nicht um den Egoismus, sondern es geht immer darum, wie kann ich zum höheren Gut dazu beitragen? Also spätestens ab zwei Personen. Wenn du alleine bist, kannst du, macht das jeder für sich. Aber in einem sozialen System ist die Frage: „Was ist mein Beitrag für das höhere Gut?“ Und wenn das klar ist, tust du dich viel leichter mit den anderen Dingen. Und das ist das, was ich vorhin auch mit dem New Work meinte. Ja, so viele Menschen sprechen immer um die nitty gritty kleinen Dinge. Und welche Methoden nutzen wir dann und welche Technologie? Und was haben wir jetzt von Modellen mit Hybrid, sind wir drei oder vier Tage im Büro und wenn das höhere Ziel klar ist, dann tust du dir leichter, diese Dinge hoffentlich auch individuell zu definieren.
Tobias Kirchhoff: Apropos individuell, du sprichst ja dann auch die Individuen an, also neben dem Unternehmen, neben der Bildung und der Gesellschaft kommt es auch aufs Individuum an und da finde ich ganz spannend, dass du da aus meiner Sicht auch die richtige Unterscheidung triffst zwischen langjährigen oder langgedienten Führungskräften, die vielleicht noch ein anderes Mindset haben und eher die jüngeren Leute, also Gen Z oder Generation Y. Was sind da die Unterschiede, gerade jetzt, wenn wir an Purpose denken. Fangen wir mal mit den Älteren an: Wo siehst du da die Herausforderung?
Stephan Grabmeier: Ich würde es nicht nur auf Generationen beziehen. Das ist mir zu einfach, weil es geht viel, viel mehr um die Sozialisierung. Also, welche Werte bringe ich mit durch diese Sozialisierung? Und dann haben wir in der Regel bei großen Unternehmen 4 bis 5 Generationen ja mit drin. Unterschiedlichste Sozialisierungsphasen in dem Generationenmodell, weil wir können ja nicht sagen, eine Gen Z, weil eine Gen Z hat beispielsweise, da gibt es genau diejenigen, die einen unglaublichen Freiheitsanspruch für sich in Anspruch nehmen. Wir haben aber die, die eine brutale Sicherheit wollen und die sich eigentlich eher in Behörden und Ministerien bewerben. Und Hauptsache, es ist safe. Das ist in einer Generation, das ist ein ganz anderes Wertekonstrukt. Deswegen muss ich da draufschauen und das schaffe ich, indem mir bewusst wird und klar wird: Wie tickt eigentlich jeder Einzelne? Wie tickst du? Wie tick ich? Und nicht im Sinne der Bewertung und sagen: Das ist gut oder schlecht, sondern im Sinne des Wissens und im Sinne: „Wie kann ich damit umgehen?“ Weil, wenn ich dein Wertekonstrukt besser verstehe und du meins, dann haben wir weniger Reibungspunkte oder wir können anders damit umgehen, wenn wir in Konfliktsituationen oder in Bewertungssituationen (sind), weil wir bewerten ja aus unserer Wertebasis heraus. Und wenn das klarer ist, würden wir sagen, dann wird das Leben etwas einfacher.
Tobias Kirchhoff: Also würdest du gar nicht so sehr von Generationenmanagement sprechen, was ja jetzt gerade auch so ein Begriff ist, sondern eher auch wirklich schauen, es gibt einfach verschiedene Typen. Weil den sicherheitsdenkenden Typen, den gibt es ja in einer älteren Generation genauso wie in einer jungen Generation. Und genauso den, nennen wir ihn mal, den kreativen Typen, gibt es wahrscheinlich hier wie da genauso.
Stephan Grabmeier: Und die werden sich immer verstehen. Und da kommt es nicht auf die Generation, sondern auf die Sozialisierung oder das Ausleben von Werten an. Genau, ein schönes Beispiel.
Tobias Kirchhoff: Wenn du unseren Hörerinnen und Hörern ein Tipp mitgeben darfst, kannst oder du sollst das bitte. Wenn die sagen Mensch, ganz spannend, besseres Wirtschaften, lebenslanges Lernen, klar, da sagt keiner nein, aber wie machen wir das? Aber wenn du in dem ganzen Konstrukt, mit dem du dich auch beschäftigst und was du, wie gesagt, sehr schön auch in deinem Buch darstellst, wenn du denen einen Tipp oder ein Thema mitgeben kannst, was möchtest du denen mitgeben?
Stephan Grabmeier: Das ist jetzt unfair. Vielleicht versuche ich es mit einem Zitat einzuleiten. Das ist von Mark Twain, der einmal gesagt hat: „Es gibt zwei wichtige Tage in deinem Leben. Das ist, wenn du geboren wirst und wenn du irgendwann feststellst, warum.“ Und das würde ich als den einen wichtigen, wenn ich nur einen nennen darf, würde ich das mitgeben: Sich wirklich Gedanken zu machen, was ist mein Beitrag? Wofür? Wofür tue ich das? Wie trage ich dazu bei und nicht aus einer egoistischen Perspektive, sondern was ist mein Beitrag für das Public Good, für das höhere Gut? Das kann jetzt meine Familie, mein Verein sein, das kann meine Stadt, meine Kommune sein, das kann mein Team sein, das kann meine Business Unit sein, das kann mein Unternehmen sein. Sondern nehmen wir, was ist mein Beitrag, Also wo gebe ich etwas mehr, als ich nehme? Und wenn ich mit der Haltung starte, vielleicht setzt darüber eine Reflexion ein, wo ich vielleicht in andere Erkenntnisräume eintauchen kann.
Tobias Kirchhoff: Ja, lieber Stefan, vielen Dank für das Gespräch. Ganz spannend. Wir konnten ganz viele Sachen leider nur anstreifen, aber trotzdem. Also es hat mir sehr, sehr gut gefallen und ich nehme mal mit: In einer Welt, in der wir Arbeit und Leben unter neuen Bedingungen gestalten müssen, weil es ist endlich, was wir auf dem Planeten haben, müssen wir auch anpassungsfähiger werden. Wir müssen anders umgehen, wir müssen anders wirtschaften, wir müssen anders lernen, anders vielleicht auch miteinander arbeiten. Und eigentlich ist nur der Wandel konstant. Und entscheidend eigentlich für alles, nehme ich mit, ist unsere Haltung das ist unsere Richtschnur. Und die gibt uns dann auch wieder Sicherheit und Orientierung, damit wir überhaupt flexibel sein können.
Stephan Grabmeier: Absolut, Weil, sonst ist alles beliebig. Aber wenn du ein starkes Fundament hast, eine klare Haltung für etwas, dann kannst du auch eine Flexibilität ausleben, dann kannst du es anders experimentieren, denn sonst springst du auf jeden Zug auf und glaubst, das ist der Richtige.
Tobias Kirchhoff: Ja, und ich habe das Gefühl, wir sitzen hier im richtigen Zug. Vielen Dank. Ja, und dann euch da draußen auch ein herzliches Dankeschön fürs Zuhören. Das war eine weitere Folge von lead:gut. Ich freue mich sehr, wenn ihr Anmerkungen, Fragen, Kritik oder Lob habt und schreibt uns an leadgut@tuv.com oder besucht uns im Internet unter tuv.com/leadgut. Und ich hoffe, ihr kehrt jetzt inspiriert in euren Arbeitsalltag zurück. Macht euch ein paar Gedanken über das Wofür. Ich bin Tobias Kirchhoff und bleibt neugierig.
Outro: lead:gut. Inspiration für Führungskräfte.
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