Dr. Stephan Böhm - Diversity & Inclusion

Shownotes

Wenn in Unternehmen die Belange und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden, profitieren in der Zusammenarbeit alle davon. Und 90 Prozent der dafür nötigen Anpassungen seien kostenlos, sagt Prof. Dr. Stephan Böhm von der Universität St. Gallen. Er forscht zum Thema Diversity und spricht mit Tobias Kirchhoff darüber, wie Führungskräfte ein inklusives Klima in ihren Teams ermöglichen und warum gut gewollt manchmal einfach nicht gut gemacht ist. Außerdem beantwortet er u. a. diese Fragen: • Warum ist Inklusionsbedarf nicht immer auf den ersten Blick erkennbar? • Auf welche Faktoren sollten Führungskräfte achten? • Was kann schon im Recruiting besser gemacht werden, um Diversität zu stärken? • Wie wirkt sich mobile Arbeit auf Inklusion aus?

Nationaler Aktionsplan: https://www.gemeinsam-einfach-machen.de/GEM/DE/AS/NAP/nap_node.htmlUN-Behindertenrechtskonvention

UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) https://www.bmas.de/DE/Soziales/Teilhabe-und-Inklusion/Politik-fuer-Menschen-mit-Behinderungen/Behindertenrechtskonvention-der-Vereinten-Nationen/behindertenrechtskonvention-der-vereinten-nationen.html

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Stephan Böhm: Ganz generell ist natürlich auch so das Thema, sag ich mal, Kompetenzorientierung, sehr, sehr relevant. Also was können die Leute eigentlich? und das ist das, was auch inklusive Unternehmen machen, dass die einen Bewerbungsprozess stärkenbasiert und kompetenzbasiert, quasi durchführen, also dass die gar nicht mal so sehr sagen sagen, wir haben hier diese ganz fixe Stelle, und da brauchen wir jetzt den idealen Bewerbenden dafür, sondern dass man eher sagt, was bringt diese Person mit? Was kann diese Person eigentlich? Und dann zu gucken, wie können wir die in unsere Prozesse auch reinbringen, und vor allem, wie können wir auch unsere Prozesse so umgestalten, dass diese Person bestmöglich da zum Einsatz kommt?

Intro: lead:gut - Inspiration für Führungskräfte.

Tobias Kirchhoff: Rund 15% aller Menschen weltweit, also über 1 Milliarde Personen, leben mit einer Form von Behinderung oder Handicap. Mit dem demografischen Wandel und der hohen Korrelation zwischen Alter und Behinderung wird dieser Anteil immer weiter wachsen. Im Berufsleben stehen Menschen mit Handicap vor großen Herausforderungen wie Stigmatisierung oder auch Diskriminierung. Wie kann unsere Arbeitswelt die Stärken aller Beschäftigten optimal nutzen? Wo stehen wir mit dem Thema Inklusion in Deutschland? Was muss jeder, was kann jeder einzelne tun? Was sollen Organisationen tun? Was können Teams tun? Und wie schaffen wir gesellschaftlich ein Klima, das Teilhabe und Inklusion fördert? Und was ist "Diversity und Inclusion" - oder im deutschen - "Inklusion" überhaupt? Und was ist es vielleicht auch nicht? Darüber spreche ich mit meinem heutigen Gast, Dr. Stephan Böhm.

Stephan Böhm: Vielen Dank für die Einladung, ich freue mich.

Tobias Kirchhoff: Dr Stefan Böhm ist Professor für Diversity Management und Leadership an der Universität St. Gallen, und er leitet das "Center for Disability and Integration", wenn ich das richtig gesagt habe. Ich würde ganz gerne dieses Gespräch starten mit einer, ich sag mal Bemerkung, denn am 16. Oktober 2013 hat der Nordrhein-Westfälische Landtag das erste Gesetz zur Umsetzung der "Vereinten Nationen Behindertenrechtskonvention" verabschiedet, und dort heißt es in diesem Gesetz:"gemeinsames Lernen von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung wird zum gesetzlichen Regelfall". Das heißt, in einfachen Worten übersetzt, man hat 2013 in Nordrhein-Westfalen in den Schulen die Inklusion eingeführt, und interessant ist, dass viele Menschen das als aufgezwungene Inklusion wahrgenommen haben und da viele Probleme gesehen haben. Ist so eine gesetzlich verordnete Inklusion eine echte Inklusion? Kann das helfen?

Stephan Böhm: Ja, ich glaube, das sind zwei verschiedene Fragen. Kann das helfen? Eventuell schon, weil wir brauchen natürlich, wenn wir in einem sozialen System leben, was über lange Jahre oder Jahrzehnte stabil war, dann braucht es oft quasi auch eine harte Intervention von außen, um irgendwo eine Veränderung herbeizuführen, weil Systeme halt starke Beharrungskräfte haben. Und das ist sicherlich im Disability-Bereich so, wir kennen das aber auch aus dem Gender-Bereich, der natürlich auch sehr stark diskutiert wird. Sie erinnern sich natürlich auch an Frauenquoten, beispielsweise im Top Management, im Verwaltungsrat, und auch da hat man natürlich schon gesehen, dass so eine Quote oft mehr Veränderungen bewirkt als irgendwelche Selbstverpflichtungen, die dann eingehalten werden oder nicht. Und insofern ist natürlich eine UN-Konvention, die dann umgesetzt wird und in gesetzlichen Anspruch hat und quasi Inklusion als Menschenrecht verbrieft, schon eine sehr wichtige Sache. Ist das dann schon Inklusion? Und das, was wir brauchen, das ist der zweite Teil, das ist es vermutlich noch nicht, weil Inklusion zumindest aus unserer Sichtweise aus dem täglichen miteinander geschieht. Das ist einerseits, was natürlich die inkludierte Person empfindet, aber auch alle Personen eben, die mit der Person interagieren, und Inklusion geht immer in beide Richtungen. Das ist auch der große Unterschied zur Integration. Es geht nicht drum, quasi eine Person in ein bestehendes Kollektiv bestmöglich einzugliedern und zu gucken, dass die da wenig auffällt, sondern es geht darum, dass sich auch dieses Kollektiv verändert. Und insofern ist Inklusion natürlich sehr viel weitergehend als das, was ein Gesetz mal ursprünglich quasi anstoßen kann.

Tobias Kirchhoff: Lassen sie uns da direkt ansetzen, vielleicht einen Schritt zurück. Diversity und Inclusion oder Inklusion ist ihr Spezialthema. Was ist das?

Stephan Böhm: Ja, also Diversity, wie es der Name schon sagt, deutsch Diversität, das ist sehr häufig ein Maß an Unterschiedlichkeit. Und was auch schon mal ganz interessant ist, divers bin ich nie als Person, sondern divers bin ich immer nur im Vergleich zu einer Gruppe. Das kann im Vergleich zu einem Team sein, das kann im Vergleich zu meinem ganzen Unternehmen sein, das kann auch im Vergleich zu einem ganzen Land sein. Und Diversität fokussiert natürlich stark auf die Unterschiede. Es gibt auch sowas wie "Surface Level Diversity", also das ist demografische Diversität meist, ist meist sichtbare Diversität. So klassische Facetten sind da Geschlecht, auch Alter, auch Ethnie beispielsweise, und dann gibt es aber auch eben Diversität, die nicht direkt sichtbar ist. Das kann sexuelle Orientierung sein, das kann auch eben Behinderung sein, die nicht sichtbar ist, das kann aber auch eine unterschiedliche Persönlichkeit sein. all das sind quasi so "Deep Level Diversity"- Aspekte, und die Diversität fokussiert eben stark darauf, dass irgendwo zu messen und natürlich auch ein Stück weit dann diese Gruppen sich anzugucken. Und was wir gesehen haben, und nicht nur wir, sondern eigentlich Forscher weltweit und auch Unternehmen: Vor 15 Jahren wahrscheinlich, als das Thema so richtig hochkam, da hat man gedacht, das ist genug, quasi sich mit Diversität zu beschäftigen. Aber das wiederum ist eben vor allem dieser Fokus eigentlich auf die Unterschiedlichkeit. Und was wir aber brauchen, dass diese Unterschiedlichkeit richtig gut funktioniert, das ist Inklusion. Und das ist dieser zweite Bestandteil, und da werden wir sicherlich noch ein bisschen mehr dazu sagen, wie man den dann genau ausdifferenzieren kann und was der genau bedeutet. Aber sehr viel, geht es da um das Gestalten des Miteinander, und diese Inklusion ist eigentlich das, was wir brauchen, um diese positiven Aspekte der Diversität wirklich voll zum Leuchten zu bringen und wirklich einfach auch diese Chancen dazu zu ergreifen, aber gleichzeitig auch die Herausforderungen von Diversität, und die gibt's auch, mehr Konflikte, Kommunikationschwierigkeiten etc., die quasi möglichst wenig in Vordergrund zu bringen, und dafür brauchen wir Inklusion, und das ist was, was uns natürlich als Forschende sehr, sehr antreibt.

Tobias Kirchhoff: Sie machen ja einen Unterschied zwischen "Inclusion" und "Inklusion". Können sie das vielleicht auch nochmal erläutern?

Stephan Böhm: Ja, das ist was, was natürlich so ein bisschen im deutschen Sprachraum speziell ja ein gewisses Problem ist, wenn man so will. Also, Inklusion ist sehr stark tatsächlich mit Behinderung assoziiert und ist auch tatsächlich innerhalb der Behinderung-Thematik relativ stark mit Schule irgendwo assoziiert. Im internationalen oder englischsprachigen Raum, da ist Inclusion etwas sehr viel breiteres. Da ist Inclusion dieses Klima, dieses Midset, dieser Enabler von Diversity. Der ist auch für Behinderung relevant, aber der ist auch für alle anderen Diversitätsformen relevant, und insofern machen wir tatsächlich am Institut auch auch beides. Also, wir haben tatsächlich einen starken Schwerpunkt auch auf Behinderung. Das ist eine Diversitätskategorie, die uns sehr stark interessiert als Forschende, aber, was wir als Inclusion eigentlich bezeichnen und erforschen, ist breiter. Das ist eben wirklich dieses Klima, sag ich mal, des Miteinanders, was wir aktiv gestalten wollen.

Tobias Kirchhoff: Ich denke, wir werden heute über beide sprechen, weil wir wollen da auch nichts ausschließen, sondern wir wollen beide Themen beleuchten. Ich nehme jetzt schon mal mit, es gibt tatsächlich einen großen Unterschied zwischen Inklusion, der Teilhabe und der Integration, also der Anpassung, wenn ich in eine Gruppe reinkomme, was ja doch ein fundamentaler Unterschied ist. Inwieweit ist das Thema Inclusion und Inklusion für die Arbeitswelt so wichtig?

Stephan Böhm: Also wiederum beides. Wenn wir jetzt quasi im Bezug auf Behinderung sehen, dann haben sie die Zahlen schon genannt. Das betrifft 15% der Bevölkerung, das werden durch den demografischen Wandel und dadurch, dass wir länger arbeiten, wird es immer mehr Leute betreffen. Das betrifft Leute, die schon im Unternehmen sind und wo man natürlich gucken muss, dass man durch präventive Maßnahmen, durch intervenierende Maßnahmen, durch Arbeitsplatzanpassung etc. bestmöglich schaut, dass die eben volle Teilhabe am Arbeitsleben haben können. Gleichzeitig geht es aber natürlich auch darum, Menschen mit Behinderung verstärkt ins Unternehmen reinzubekommen, und da sehen wir natürlich immer noch große Herausforderungen, weil die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung doppelt so hoch ist, eben wie die von gleichaltrigen Menschen ohne Behinderung. Und selbst wenn man eben für Aspekte wie Ausbildung etc. Qualifikation kontrolliert, bleibt eben noch sehr, sehr viel quasi Delta da, also es gibt immer noch große Hürden, große Barrieren eigentlich für Menschen mit Behinderung, in den Arbeitsmarkt und vor allem in den ersten Arbeitsmarkt, also quasi ein Unternehmen, nicht in geschützte Bereiche oder Werkstätten reinzufinden, und da müssen wir als Unternehmen auf jeden Fall groß was tun.

Tobias Kirchhoff: Was sind denn da die Hemmnisse oder die Barrieren?

Stephan Böhm: Also, ich glaube, das hat tatsächlich, wie sie es auch schon einführend gesagt haben, das hat was mit Stigma zu tun, das kann auch was mit Diskriminierung zu tun haben. Das ist aber oft was, was auch relativ unter der Oberfläche irgendwie passiert. Also, ich glaube, die wenigsten Führungskräfte, die irgendwie ihre Arbeit ernst nehmen, und die wenigsten Entscheider und Entscheiderinnen in Unternehmen, die sagen, heute gehe ich mal zur Arbeit und diskriminiere und habe auch keine Lust hier auf Menschen mit Behinderung. Ich glaube, das passiert selten. Aber das geht natürlich schon damit los, dass beispielsweise Rekrutierungsprozesse nicht wirklich inklusiv sind, also dass die eben für Menschen mit Behinderung besondere, sage ich mal, Hürden dann darstellen, dass die sich entweder gar nicht bewerben oder dass sie dann im Bewerbungsprozess, sag ich mal, schneller aussortiert werden.

Tobias Kirchhoff: Ja, können sie das mal präzisieren, wenn sie sagen "Hürden", was wäre so eine konkrete Hürde, dass ich mich gar nicht bewerben würde?

Stephan Böhm: Ja, das kann beispielsweise schon damit zusammenhängen, dass sie die Stellenanzeige für sich nicht so irgendwie interpretieren, dass eine Bewerbung für sie Sinn macht. Also dass sie glauben, dass beispielsweise das, was sie mitbringen, eigentlich für diese Stelle nicht reicht oder dass sie für diese Stelle keine gute Passung haben. Und das ist letztlich auch so ein selbstlimitierendes Verhalten, und das kennen wir aber auch natürlich von vielen Gruppen. Wir wissen auch beispielsweise, dass das auch ein Aspekt sein kann für Gender Diversity, der ein Problem darstellt. Also, es gibt beispielsweise auch in Unternehmen, mit denen ich arbeite, so Versuche, Stellenanzeigen einerseits kürzer zu gestalten und andererseits auch vom Wording her schon inklusiver zu gestalten, und die sehen auch dadurch, dass sie schon deutlich diversere Bewerbende bekommen, was eine wichtige Geschichte ist. Und vielleicht ganz konkret also mit einem Automobilunternehmen, mit dem ich arbeite, das beispielsweise so: da haben die traditionell eigentlich die Stellenanzeigen immer so gemacht, dass es da so gewisse, sag ich mal, Charakteristiken gab, gewisse Kompetenzen, die man mitbringen musste, und die wurden über die Jahre aber immer länger, weil man hat immer die alte Stellenanzeige genommen und hat dann noch 2, 3 neue Sachen, die man jetzt irgendwie interessant und wichtig findet, ergänzt, und dann gab es da irgendwie 20 Soll-Anforderungen, und dann hat man gemerkt, dass das eben sehr abschreckend ist und dass sich auch speziell weniger Frauen bewerben darauf, weil die einen höheren Fit quasi erstmal wahrnehmen wollen, sage ich mal, zwischen dem, was sie mitbringen, und dem, was angeblich gefordert wird, dass sie sich überhaupt bewerben. Und dann hat man gesagt, okay, wir machen da einen Hard Cut, keine Stellenanzeige darf nach mehr als fünf solchen Kriterien überhaupt fragen. und da hat man gesehen, das hat schon einen Effek. Und ich sag mal, das ist die eine Geschichte. Aber ganz generell ist natürlich auch so das Thema, sag ich mal, Kompetenzorientierung, sehr, sehr relevant. Also was können die Leute eigentlich? Und das ist das, was auch inklusive Unternehmen machen, dass die einen Bewerbungsprozess stärkenbasiert und kompetenzbasiert quasi durchführen. Also dass die gar nicht mal so sehr sagen, wir haben hier diese ganz fixe Stelle, und da brauchen jetzt den idealen Bewerbenden dafür, sondern dass man eher sagt, was bringt diese Person mit? Was kann diese Person eigentlich? Und dann zu gucken, wie können wir die in unsere Prozesse auch reinbringen, und vor allem, wie können wir auch unsere Prozesse so umgestalten, dass diese Person bestmöglich da zum Einsatz kommen kann? Das ist zum Beispiel ein Aspekt im Bereich Rekrutierung, der schon einen großen Unterschied machen kann.

Tobias Kirchhoff: Wenn wir jetzt weitergehen von der Rekrutierung, wir haben jetzt das Onboarding, und jetzt habe ich jemanden im Team, der hat ein Handicap oder eine. Wo sind denn da die Barrieren, die Hemnisse, dann inklusiv vorzugehen statt nur integrativ?

Stephan Böhm: Also, ein wichtiger Aspekt generell mal ist, und was auch gut erforscht ist, ist das Thema Arbeitsplatzanpassungen. Also mitunter braucht es, auch nicht für alle Behinderungen, aber doch für manche, braucht es gewisse Anpassungen, und das ist gerade, was, was in den USA gut erforscht ist, weil es in den USA ein Recht auf diese Arbeitsplatzanpassungen gibt, und da hatten die Arbeitgebenden am Anfang dann auch große Angst, weil die gesagt haben, Mensch, da können die alle klagen, und es wird wahnsinnig teuer. Da muss ich hier alles umbauen oder alles neu machen. Man hat eigentlich über diese Jahre, seit diesen "Americans with Disability Act" gibt, gesehen, dass die allermeisten Anpassungen umsonst sind, also dass fast 90% der Anpassungen kostenneutral sind und das weitere 5% irgendwie weniger als 5000 Dollar kosten. Die allerwenigsten Anpassungen sind wirklich teuer, aber ich muss diese Anpassungen machen, und das setzt 2 Sachen voraus. Erstens mal muss ich als Mitarbeitender überhaupt mich sicher genug fühlen, dass ich diese Anpassung fordere oder dass ich nach dieser Anpassung frage. Und das heißt auch wiederum, dass ich ja erstmal meinen Bedarf auf diese Anpassung offenlegen muss, weil, wir dürfen nicht vergessen, ein großer Teil der Behinderungen ist auch nicht sichtbar, also wenn sie zum Beispiel an fortschreitende Erkrankungen denken, wenn sie auch an psychische Behinderungen denken, das ist was, was man nicht sieht. Wir haben klassischerweise vielleich, wenn wir an Behinderung denken, irgendwie den Rollstuhlfahrer im Blick und denken an eine behindertengerechte Toilette oder an den Zugang in der Tür. Aber es geht sehr viel mehr. Es geht auch ums Thema Schwerhörigkeit, es kann ums Thema Sichteinschränkungen gehen, und wenn ich quasi Angst habe, dass diese Behinderung dazu führt, dass ich den Job nicht bekomme oder dass ich im Job nicht mehr aufsteigen kann, dann werde ich diese Behinderung verschweigen. Und das führt eigentlich dazu, dass diese Arbeitsplatzanpassung, die einfach wäre und die wahnsinnig wichtig wäre für den Mitarbeitenden, gar nicht gemacht werden kann. Und deswegen geht es eben sehr, sehr viel auch um das Thema psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz, auch wieder um das Thema inklusives Klima, dass jeder seine besonderen Bedürfnisse überhaupt kommunizieren kann, weil erst dann kann ich die berücksichtigen. Und was eben interessant ist, wenn man eben dann erst mal sieht, dass diese psychologische Sicherheit da ist und dass solche Bedürfnisse kommuniziert werden, dann sieht man, das eigentlich fast jeder solche Bedürfnisse hat, weil fast jeder von gewissen Anpassungen eigentlich profitieren würde, mit und ohne Behinderung. Generell darf man auch bei Behinderungen nicht in Schwarz-weiß denken. Das ist ein Kontinuum, und wir alle, oder ein Großteil von uns, wird irgendwann mit solchen Themen konfrontiert sein, und deswegen ist es, glaub ich, auch so wichtig, dass Unternehmen das für sich viel, viel klarer hinbekommen, dieses Thema irgendwie nach vorne zu spielen. Und was wir eben auch sehen, ist das häufig dann auch nicht nur die "Betroffenen", sondern alle davon profitieren von solchen Anpassungen. Ich gebe vielleicht noch ein konkretes Beispiel: Wir hatten selbst einen Gastwissenschaftler bei uns mit einer relativ starken Hörbeeinträchtigung, mit Cochlear-Implants. Der war quasi, bevor er die hatte, war der Taub oder konnte der nichts hören. Inzwischen kann der Hören, aber ist natürlich trotzdem darauf angewiesen, dass gewisse Gesprächsregeln eingehalten werden, also dass man sich nicht gegenseitig ins Wort fällt, dass man irgendwie einen klaren Einsatz hat, wenn man dran ist und so weiter. Und was wir aber gemerkt haben, in dem Moment, wo man darauf Rücksicht nimmt als Team, wird die Gesprächskultur insgesamt besser und werden die Meetings als ganzes eigentlich effizienter. Und das ist was, was wir häufig sehen, auch in Studien, dass durch solche Anpassungen am Ende eigentlich alle profitieren und man eigentlich ein besseres Arbeitsumfeld schafft, und das finde ich an diesem Thema auch so bereichernd.

Tobias Kirchhoff: Ich finde das total klasse, wie sie jetzt die Beispiele beschrieben haben. Die zeigen ja letztlich am Ende, wenn eine Inklusion läuft, dann habe ich die Sicherheit der Menschen, dass sie etwas sagen können, und dann kann ich zum Beispiel die baulichen Maßnahmen durchführen. Wie komme ich denn als Führungskraft dahin in meinem Team, ich nenne es mal, eine inklusive Atmosphäre zu schaffen? Weil es reicht ja auch nicht, einfach da jemanden hinzusetzen, und dann sage ich so, und jetzt sind wir mal inklusiv, vertrauen uns allen. Also, was muss ich als Führungskraft tun, oder was sollte ich als Führungskraft tun, und was sollte ich vielleicht auch nicht tun?

Stephan Böhm: Ja, das ist ganz, ganz wichtig, weil das war eben auch der Irrglaube vieler Unternehmen, und das geht auch eben über Behinderung weit hinaus, dass man quasi Diversität schaffen kann, und das ist wichtig, das ist der wichtige erste Schritt, aber dass das reicht, dass man da stehen bleiben kann. Und dann waren die mitunter enttäuscht, dass es da nicht so gut funktioniert, dass es dann zu Konflikten kommen kann, eben zu diesen Missverständnissen, die ich angesprochen habe. Und an der Stelle kommt eben die Schaffung dieses inklusiven Klimas rein. Und jetzt die Frage, wie kann ich das machen? Um das zu machen, muss ich erst mal verstehen, was ist ein inklusives Klima? Und an der Stelle würde ich das gerne nochmal ganz kurz definieren, wie wir und auch andere Forschungsgruppen das eigentlich verstehen, und wir messen das im Rahmen eines Indexes, was wir entwickelt haben, den St. Gallen Inclusion-Index. Der hat 4 Dimensionen. Die erste Dimension ist Authentizität: kann ich, die Amerikaner sagen, mein "full self to work" bringen? Also kann ich quasi am Arbeitsplatz wirklich der sein, der ich bin? Und wir haben über das Thema unsichtbare Behinderung gesprochen, das ist da ganz zentral. Wenn ich verstecken muss, dass ich beispielsweise MS habe oder sowas oder Morbus Crohn, irgendeine Erkrankung, die man nicht direkt sieht, aber die eben doch das Leben beeinflusst, dann verschwende ich sehr viel kognitives Potenzial darauf, das eigentlich zu verstecken und das zu überspielen. Das gleiche aber beispielsweise auch mit sexueller Orientierung. Wenn ich nicht offen sagen kann, dass ich mit einem Partner lebe, mit einer Partnerin, sondern da irgendwelche Geschichten erfinden muss, dann ist das was, was natürlich mich selber eigentlich hindert, mich an diesem Arbeitsplatz wirklich einbringen zu können. Das ist dieser erste Schritt Authentizität, und da ist natürlich eine Führungskraft gefordert, so ein Klima zu schaffen, wo man diese Authentizität zeigen kann. Das kann vielleicht so gefördert werden, dass man auch selber irgendwie was irgendwo von sich preisgibt, in gewisser Form, also dass man da selber auch, sag ich mal, Dinge irgendwie einräumt oder über Dinge spricht. Vor allem aber, indem man eben ganz klar macht, und es geht auch tatsächlich nicht nur durch irgendwelche Geschichten, sondern das ist wirklich was, was man zeigen muss im täglichen Verhalten, dass dadurch nicht irgendwie die Karriere oder irgendwas negativ beeinflusst wird vom Team, sondern dass man ganz im Gegenteil das eigentlich schätzt, dass die Leute wirklich da auch diesen Mut irgendwo zeigen. Das zweite ist Zugehörigkeit, dass das Team wirklich als Ganzes zusammenhält und dass jeder das Gefühl hat, da voll dabei sein zu können. Und zwar eben nicht um den Preis, nicht authentisch sein zu können. Also solche Kulturen gibt es auch, dass wir sagen, hier darf jeder Mitspielen, aber nur, wenn er sich quasi gleich kleidet, wenn er gleich denkt, wenn er, sag ich mal, dieselben Verhaltensweisen zeigt, dass wäre gerade wieder dieser Mangel an Authentizität, sondern wir brauchen dieses Zusammenspiel, authentisch sein, aber gleichzeitig wirklich Zugehörigkeit in Group als Team zu haben. Das dritte, ist auch ganz zentral, ist Chancengleichheit. Also inwiefern bin ich im Bereich Recruiting, haben wir schon angesprochen, im Bereich Karriereentwicklung, im Bereich Weiterbildung, inwiefern ist da unabhängig von der Behinderung oder von dem höheren Alter oder von einer anderen sexuellen Orientierung oder Migrationshintergrund, haben die Leute die gleichen Chancen, die gleichen Gehälter etc.? Das ist ganz zentral, weil ohne das werde ich nie wirklich mich fair behandelt fühlen im Unternehmen. Und das vierte, und das ist eigentlich die Königsdisziplin, dass ist Synergie, nennen wir es, dass ist, inwiefern sie im Team gelingt, aus dieser Unterschiedlichkeit heraus gemeinsam was Neues zu schaffen, was dann tatsächlich auch besser und innovativer ist. Und genau das unterscheidet ein inklusives Team von dem integrativen Team, dass man selber dann auch Denkprozesse quasi in Frage stellt, dass man neu über Sachen nachdenkt. Und das sehen wir tatsächlich, dass das in Unternehmen gelingt. Da haben wir grad ein Experiment dazu gemacht, kann vielleicht kurz was noch erzählen nachher, aber das ist die vierte Dimension. Und wenn diese vier Dimensionen da sind, dann habe ich ein inklusives Klima. Und was wir auch gerade versuchen tatsächlich ist, Trainings auch für Führungskräfte zu entwickeln, die auch auf diese 4 Dimensionen genau einzahlen, wo man ganz konkret quasi Hinweise bekommt, wie kann ich diese 4 Dimensionen fördern? Und wenn das gelingt, dann ist extrem viel gewonnen, und wir haben eben zahlreiche Studien gemacht, die wirklich zeigen, dass dadurch nicht nur Performanz nach oben geht, sondern dass Gesundheit hochgeht, dass die Mitarbeitendenbindung hochgeht, dass emotionale Erschöpfung, psychische Erkrankungen seltener werden. Also dieses Klima ist, glaube ich, was wir eigentlich brauchen, um einfach gut zusammenarbeiten zu können.

Tobias Kirchhoff: Wie kommen denn Führungskräfte dahin, dass sie offen sind, so ein Klima auch ausstrahlen zu können oder so ein Klima zuzulassen? Weil das hört sich doch nach einem großen, ich sag mal, Investment an. Also ich brauche Zeit, ich erkläre das den Leuten. Ich muss ja Menschen abholen, die vielleicht gewisse Vorstellungen haben. Das heißt, eventuell bin ich ja in einer Umgebung mit meinen Mitarbeitenden, wo ich erst mal viele Sachen auflösen muss, damit so ein Klima entstehen kann. Was brauchen Führungskräfte dafür?

Stephan Böhm: Also, es braucht natürlich schon irgendwo ein gewisses positives Menschenbild und eine gewisse Neugier und eine gewisse Empathie auch für diese Themen. Das ist ganz klar, und wir sehen natürlich häufig, dass gerade wenn sich so Topführungskräfte mit so Themen auseinandersetzen, dass die irgendwie eine persönliche Betroffenheit haben in irgendeinem Bereich, dass die selber einen Angehörigen haben vielleich, oder selber damit Erfahrungen gemacht haben. Das ist schon häufig ein Türöffner. Was wir aber schon auch sehen, ist, dass Führungskräfte, die das dann machen, dass die auch eine gewisse Ausstrahlungsfunktion haben, und wir haben auch Studien gemacht, wo man wirklich zeigen kann, dass sich Führungsklima auch in einem Unternehmen kaskadiert. Also dass, wenn das glaubhaft wirklich von der Top Führung quasi vorgelebt wird, dieses Verhalten, dass auch andere Führungskräfte das imitieren und dass die das für sich auch annehmen, und dass das dann auch zum Beispiel bei der Entwicklung von Führungskräften, bei der Auswahl von Führungskräften schon ein relevantes Kriterium werden kann, glauben wir, dass die eben zu so einem inklusiven Klima beitragen kann oder nicht, diese Führungskraft. Und dann kann ich schon als Unternehmen insgesamt sowas fördern. Also, es braucht, wie gesagt, glaube ich, diese persönliche Bereitschaft, aber dann braucht es durchaus auch eine gewisse Hilfestellung, und auch das wissen wir aus vielen Studien: Führung ist lernbar. Also klar gibt es Aspekte, die Angeboren sind, und gibt es Leute, die beispielsweise extrovertiert sind, die sich vielleicht leichter tun mit gewissen Verhaltensweisen der Führung. Aber viel ist auch lernbar, und gerade bei Behinderung hat natürlich auch einiges mit Berührungsängsten zu tun, und da sind wir auch wieder beim Bildungssystem. Wir sind sehr segregierend in vielerlei Richtungen. Viele Leute haben wenig Erfahrung mit Menschen mit ein Minderung, haben da Berührungsängste, sind nicht irgendwie böse oder so, aber wissen gar nicht, wie sie es machen sollen. Und das, glaube ich, aufzubrechen, die Leute in Kontakt zu bringen, wirklich von Kindesbeinen an, aber auch im Unternehmenskontext, und ihnen dann eben auch Hilfestellung zu geben, was sie tun können, das sind, glaube ich, Aspekte, auf die man da achten sollte.

Tobias Kirchhoff: Das hört sich ja so an, als ob wir da in Deutschland zumindest noch einen weiten Weg auch zu gehen haben. Sehen sie vielleicht andere Länder, die da schon weiter sind als wir, von denen wir vielleicht auch noch lernen können?

Stephan Böhm: Also, ich muss offen sagen, dass ich nicht wahnsinnig viel so komplett irgendwie kulturvergleichende Forschung da mache oder ländervergleichende Forschung. Aber es ist mein Eindruck auch, dass wir in Deutschland da, sag ich mal, bestenfalls im Mittelfeld vermutlich liegen. Es gibt sicher Länder, wo das stigmatisierter ist und schlechter läuft, aber es gibt eben auch Länder, wo es besser läuft. Das hat auch teilweise wirklich mit so einfachen Sachen zu tun. Ich gebe ihnen mal ein konkretes Beispiel, noch mal, ich betreue selbst eine Doktorandin, die eine relativ hohe Paraplegie hat, also hohe Querschnittlähmung, und auf den Rollstuhl und Hilfe eben angewiesen ist, und wir waren vor kurzem eben bei einem Team Outing im, sage ich mal, Großraum München, und das war so extrem schwer, auch nur ein Hotelzimmer zu finden, was wirklich voll, sage ich mal, barrierefrei ist, plus Seminarräume zu finden, die das voll ermöglichen, dass das wirklich gerade einen, wenn man selber eben keine Behinderung dann hat, schon nochmal zum Nachdenken bringt, wenn man das quasi direkt so sieht, wie problematisch das ist. Und eben diese Doktorandin ist selbst mit einem Amerikaner verheiratet, hält sich deswegen viel in Amerika auf und sagt, da ist es völlig anders. Da ist Barrierefreiheit gegeben, weil man im Notfall auch eben klagen kann und sich mal ein Restaurant oder so, dann zweimal überlegt eben, ob es sagt, hier die zwei Treppen, das passt schon, oder ob es sagt, nee, dann machen wir halt hier so eine Rampe. Und deswegen ja, also, ich möchte da nicht die letzte Aussage treffen. Ich glaube, zum Beispiel in den USA ist da manches tatsächlich besser.

Tobias Kirchhoff: Ja, vielleicht kann man da mal rüber schauen und sich da tatsächlich ein paar Sachen abschauen. Als sie eben vom Klima sprachen, Inklusionsklima, sagten sie, sie hätten da auch noch ein Beispiel, was sie später erwähnen können. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt.

Stephan Böhm: Ja, also das Thema inklusives Klima, das ist was, was uns natürlich in vielerlei Richtungen umtreibt und was wir uns eben auch anschauen, sehr datengetrieben. Wir machen ja viele Studien, auch mit großen Camps, wo wir Tausende von Leuten eigentlich befragen, auch über einen längeren Zeitraum hinweg. Und was uns zum Beispiel auch interessiert, das ist vielleicht für den einen oder anderen Hörer auch interessant, wie wirken eigentlich 2 Megatrends momentan zusammen, nämlich einerseits das Thema, sag ich mal, Inklusion im Team, inklusives Klima und mobile Arbeit? Und das ist eine ganz spannende Geschichte. Das haben wir uns angeschaut. Also wie wirkt es? Und da sieht man was ganz interessantes, weil wenn ich nämlich mir diese Daten anschaue mit diesen, sag ich mal, 8000 Leuten, dann würde ich, wenn ich die Daten normal analysiere, sehen: Mensch, je mehr jemand mobil arbeitet, je inkludierter fühlt er sich. Das würde man sehen, wenn man diese Daten anschaut. Und das Problem ist aber, dass das tatsächlich statistisch schlecht analysiert ist. Das ist aber, was 99 Prozent eigentlich der Studien heutzutage machen, und die schauen sich quasi nur diese between Person Variance an, also die Vergleichen quasi die Leute unter sich, und dann sieht man, wenn der mehr mobil arbeitet, dann fühlt er oder sie sich auch inkludierter. Das Problem daran ist, dass das nicht durch die mobile Arbeit kommt, sondern dass das eben Leute sind, die vielleicht in besser geführten Unternehmen arbeiten, dass das vielleicht Leute sind, die bessere Führungskräfte haben, dass das Leute sind, die auf eine andere Art und Weise privilegierter sind und deswegen sowohl Zugang zu mehr mobiler Arbeit haben als auch mehr Zugang haben, quasi zu einem inklusiven Klima, und deswegen würde man das quasi verwechseln. Wenn wir die Daten aber richtig analysieren, und wir schauen uns das über die Zeit an, was das mit dem einzelnen macht, dann sehen wir schon, dass eben ein Mehr an mobiler Arbeit tendenziell die Inklusion im Team schwächt. Und zwar sowohl in Bezug auf Authentizität als auch in Bezug auf Zugehörigkeit. Und wir sehen auch, dass das ein Prozess ist, der in beide Richtungen geht, also je weniger ich mich inkludiert fühle oder zugehörig fühle, je weniger gehe ich ins Büro und je weniger ich dann im Büro bin, je weniger fühle mich zugehörig, und das geht dann nach unten. Und deswegen, wenn man eben da sich die Daten richtig anschaut, da muss man schon sagen, dass es vermutlich sinnvoll ist, wenn man im Unternehmen auch eine gewisse Bindungskraft entfalten will, dass die Leute auch wieder zusammenkommen. Das soll keine Abkehr vom Homeoffice sein. Ich bin selber ein großer Anhänger vom hybriden und zeitlich und örtlich Flexiblen arbeiten. Aber es muss Anlässe, glaube ich, geben, wo Leute zusammenkommen und einfach sowohl diese Authentizität wie Zugehörigkeit live einfach empfinden können. Und das finde ich zum Beispiel momentan so ne ganz interessante Geschichte, weil man da wirklich sehen kann, dass eben auch viele Themen so rund um New Work mit Inklusion stark zusammenspielen, und man muss das integriert betrachten.

Tobias Kirchhoff: Ja, und ich denke, dass dann doch wieder das Erleben des ganzen Menschen in seiner Diversität und nicht nur am Bildschirm oder an der Stimme, dass das natürlich hilft, auch den Menschen besser zu verstehen und auch dann zu respektieren und auch zu akzeptieren. Was müsste denn aus ihrer Sicht auch noch geschehen auf der Gesetzgebungsseite, um auch dieses Inklusionsfreundliche Klima zu fördern?

Stephan Böhm: Ja, also gut, das ist natürlich auch zum Beispiel eine Frage, die in Bezug auf Gesetzgebung sehr relevant ist, ist ja zum Beispiel die Quote. Das ist ja bei Behinderung was, was wir in Deutschland kennen, das eben ab 20 Mitarbeitenden eine 5%ige Quote gilt eben für Menschen mit Behinderung. Das haben wir beispielsweise in der Schweiz nicht. Da gibt es die Quote nicht. Und das ist natürlich die Frage, wie effektiv ist so eine Quote? Und generell gibt's schon Belege dafür, dass so eine Quote eine gewisse Effektivität hat, also dass die Inklusion den Arbeitsmarkt in gewisser Weise fördern kann, weil es natürlich für Unternehmen einen gewissen Anreiz gibt. Wie wir allerdings vorhin schon besprochen haben, ist das auf der anderen Seite was, was noch nicht inklusiv ist. Also nur weil ich eine Person dabei habe und die dann vielleicht wiederum in segregierte Bereiche im Unternehmen dann bringe, kann ich nicht wirklich von echter Inklusion sprechen. Es braucht dann mehr. Und gleichzeitig muss ich natürlich auch schauen, dass ich ungewünschte Effekte vermeide, und dazu habe ich tatsächlich vor kurzem mal eine Studie gemacht. Ich weiß nicht, ob sie den Fall von, jetzt weiß ich den Nachnamen nicht genau, ich glaube, Hanna Kiesbye kennen. Die Hanna war damals 17 Jahre alt, ein Mädchen aus Niedersachsen, soweit ich weiß, mit Trisomie 21, und die hatte einen Schwerbehindertausweis. Und die musste halt diesen Schwerbehindertenausweis quasi jeden Tag vorzeigen, wenn sie in einen Bus gestiegen ist, hat damit eigentlich quasi kostenlose Beförderung bekommen, auch andere Vorteile gibt es durch den Schwerbehindertenausweis. Aber, und so argumentieren wir auch in dem Paper, es gibt nicht sowas wie ein "free lunch", du zahlst einen anderen Preis. Und der Preis, den du zahlst tatsächlich, ist letztlich diese Stigmatisierung, die auch dadurch kommt, und das ist tatsächlich schon im Wording drin mit dem Schwerbehindertenausweis. Und das ist was, was die Hanna auch gefühlt hat, und dann hat die sich so eine kleine Mappe, so eine kleine Hülle gebastelt, wo Draufstand "Schwer in Ordnung-Ausweis". Das hat damals medial hohe Wellen geschlagen, und wir haben aber dann eine Studie gemacht, wo wir das tatsächlich mit recht großen Daten und dem recht anspruchsvollem Design zeigen konnten, dass allein dieses Labeling tatsächlich schon einen Unterschied macht und diese Stigmatisierung förder. Und deswegen, so gut es ist, glaube ich, eigentlich und so gut das gewollt ist vom Gesetzgeber, aber man muss auf solche Aspekte achte. Und deswegen, Sprache ist sehr mächtig, und sowas muss man da mitdenken, wie man sowas nennt. Aber generell glaube ich schon, dass eine gewisse Gesetzgebung, und zwar wirklich auch die Verbriefung von Rechten, und das macht ja die UN-Konvention, da schon ein ganz zentraler Hebel ist, um das nach vorne zu bringen. Aber notabene, er ist notwendig, aber er ist nicht hinreichend, das braucht noch mehr.

Tobias Kirchhoff: Also, ich nehme mal mit, es kommt auf den Einzelnen an, also auch meine Einstellung. Also, stigmatisiere ich jemanden oder bin ich offen, oder stigmatisiere ich mich selbst? Traue ich mich? Das ist dann wieder auf der Arbeitsebene, wenn wir in die Arbeitswelt denken, Aufgabe auch in den Teams ein entsprechendes Klima zu schaffen. Sie sagen, ihre Studien zeigen, wenn ich ein inklusives Klima habe, sind diese Teams auch leistungsfähiger, vielfältiger, haben Spaß bei der Arbeit, wahrscheinlich auch weniger krankheitsanfällig etc.etc. Und der Gesetzgeber und auch, ich denke mal, die Organisationen, die müssen eben den Rahmen schaffen, und das auch wieder in einem positiv artikulierten Rahmen.

Stephan Böhm: Genau also, es geht wirklich darum, auch diesen Mehrwert begreifbar zu machen, der durch Inklusion entsteht, und der entsteht einerseits bei jedem Menschen, glaub ich, ganz unmittelbar, weil das was ist, wovon wir alle profitieren. Aber er ist auch eben betriebswirtschaftlich nachweisbar, und zwar nicht nur durch irgendwie gesparte Quoten, sondern eben das ist auch was, was ich vorhin ganz kurz angesprochen habe: wir haben eine Studie auch gemacht, zum Beispiel mit einem Automobilbauer, wo wir sehen, dass in behinderungsdiversen Teams tatsächlich mehr Ideen erzeugt werden. Und zwar Ideen, die wirklich auch in der Produktion umgesetzt werden, also nicht nur irgendwelche Sachen auf dem Papier, sondern wirklich was mit einem geldwerten Vorteil. Und wir konnten das gleiche auch noch mal experimentell zeigen, also dass, wenn quasi so Probanden in so eine Situation gebracht werden, dass sie mit jemandem mit einer körperlichen Einschränkung zusammenarbeiten, dass die mehr Ideen hatten, wie man quasi diesen Prozess dann verändern müsste und verändern könnte. Und das zeigt auch, dass, sage ich mal, ein scheinbares Defizit am Ende eigentlich zu einer Quelle von Innovation und Inspiration werden kann. Und deswegen glaube ich, profitieren wir mittelfristig einfach alle und auch kurzfristig von mehr Inklusion, und ich glaube, das muss einfach sich noch mehr durchsetzen, muss bekannter werden.

Tobias Kirchhoff: Super interessant! Wir müssen leider zum Ende kommen, und da möchte ich ihnen die Frage stellen, wenn ich jetzt Inhaber, Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens bin, und sie können mir eine Sache mitgeben, die ich morgen umsetzen kann, was würden sie mir sagen?

Stephan Böhm: Ich glaube, das ist quasi Mut zum Experimentieren, vor allem, wenn sie es noch nicht gemacht haben. Ich bin auch selber in der Jurybeispielsweise von so einem Inklusionspreis in Zürich, und da sehen wir jeweils, was für unglaubliche Inklusionsbeispiele gelingen, und zwar völlig unabhängig von der Branche und auch von der Unternehmensgröße. also Inklusion kann quasi in einem 3-Mann Geschäft oder 3-Frauen Geschäft genauso funktionieren wie in einem Großkonzern. Und tatsächlich funktioniert es in den kleinen oft erst mal besser, weil die sich tatsächlich einfach mal trauen, es auszuprobieren und sehen, dass sie Mitarbeitende gewinnen, mit ner unglaublich hohen, sage ich mal, Motivation, aber auch mit ner guten Kompetenz und wirklich mit nem hohen Drive, einfach sich voll einzubringen. Und solche Mitarbeitende sind gefragter denn je, und ich glaube, da müssen wir einfach wirklich mutig genug sein, unseren Talentpool auszuweiten und wirklich versuchen, diese Leute ganz aktiv an Bord zu bekommen.

Tobias Kirchhoff: Herr Professor Böhm, vielen Dank für dieses sehr, sehr interessante Gespräch.

Stephan Böhm: Ganz lieben Dank für die Einladung

Tobias Kirchhoff: Und an euch da draußen ein herzliches Dankeschön fürs Zuhören. Das war eine weitere Folge von lead:gut. Ich freue mich, wenn ihr Anmerkungen, Fragen, Kritik oder Lob habt, und schreibt mir auch gerne an leadgut @tuv.com oder besucht uns im Internet unter tuv.com/leadgut und ich hoffe, ihr kehrt inspiriert in euren Arbeitsalltag zurück, schafft ein inklusives Klima. Mein Name ist Tobias Kirchhoff, und bleibt neugierig und offen.

Outro: lead:gut, Inspiration für Führungskräfte.

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