Julian Kirchherr - Erfolgsfaktor HR

Shownotes

„Bei HR werden doch nur Verträge vorbereitet …“ Mit dieser traditionellen Vorstellung von der Personalabteilung als Unterstützungsfunktion kommen Unternehmen nicht weiter. Das und vieles mehr hat das Team um Julian Kirchherr in einer McKinsey-Studie anhand von Zahlen belegt. Ein Ergebnis: 40 Prozent der Arbeitskräfte in Europa müssen bis 2030 ganz neue Skills erwerben. Er schlägt dafür vor, unternehmensinterne „Skilling-Hubs“ zu etablieren und ganzheitlich vorzugehen. Denn es hat sich in der Langzeitbeobachtung gezeigt, dass die „People & Perfomance-Gewinner“ unter den Unternehmen nicht nur ein Vielfaches an Zeit für die Fort- und Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden investieren, sondern auch, dass sich dieses Invest lohnt. Lead:gut-Host Tobias Kirchhoff möchte mehr darüber wissen und fragt nach:

Für welche „Future Skills“ sollten Mitarbeitende ausgebildet werden?

Wie sorgen erfolgreiche Unternehmen dafür, dass gut ausgebildete Mitarbeitende bleiben?

Welche Führungskultur wird bei den „People & Perfomance-Gewinnern“ gelebt?

Wie kann generative KI beim Up-skilling unterstützen?

Links:

„Skilling Hub” https://www.mckinsey.com/capabilities/people-and-organizational-performance/our-insights/the-organization-blog/address-your-organizations-talent-needs-with-a-skilling-hub

“People&Performance Winner” https://www.mckinsey.com/mgi/our-research/performance-through-people-transforming-human-capital-into-competitive-advantage

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lead-gut Episode 21_Transkript.mp3

Julian Kirchherr: Im durchschnittllichen Unternehmen in Deutschland wird die Führungskultur eher als hierarchisch, man könnte auch sagen anordnend beschrieben, wohingegen bei diesen People und Performance-Gewinnern wir ganz häufig eine Führungskultur sehen, die wir eher als Coaching-Kultur beschreiben würden. Also, da geht es dann der Führungskraft darum, gar nicht einfach nur exakt vorzugeben, was gemacht wird, sondern Freiräume zu bieten, da zu sein, wenn es Probleme gibt, die Aufgabe zu erledigen, und im Grunde genommen ein viel einfühlsameres, empathischeres Führen, als wir es jetzt, sage ich mal, im Durchschnittsunternehmen im Datensatz sehen.

Intro: lead:gut - Inspiration für Führungskräfte

Tobias Kirchhoff: Hallo, ihr hört lead:gut - Inspiration für Führungskräfte, den Management-Podcast vom TÜV Rheinland. Ich bin Tobias Kirchhoff, und gemeinsam mit meinen Gästen bespreche und hinterfrage ich aktuelle Leadershipkonzepte und -Ideen. Der Mensch als Kapitalressource, der Mensch als Produktionsressource, das ist das Bild, was ja fast zwei Jahrhunderte vom Menschen in der Produktion gegeben war. Das hat sich in den letzten Jahren geändert, und auch die HR-Funktion wird weniger als rein und unterstützende Funktion wahrgenommen, denn in der Vergangenheit, und man weiß inzwischen, dass HR oder der Mensch oder die HR-Ressource doch für den Unternehmenserfolg sehr, sehr entscheidend ist. Ich werde heute mit jemandem darüber sprechen, der Experte ist auf diesem Gebiet. Ich werde werde heute mit Dr. Julian Kirchherr über dieses Thema sprechen. Dr. Julian Kirchherr ist Politikwissenschaftler und Partner bei McKinsey und Experte für Organisations- und Personalthemen so wie Zukunft der Arbeit. Herzlich willkommen, Herr Kirchherr!

Julian Kirchherr: Herr Kirchhof, mein Semi-Namensvetter, ich freue mich auch sehr, dass ich hier im Podcast heute mit dabei sein darf.

Tobias Kirchhoff: Ich finde, es ist ein ganz, ganz spannendes Thema, wenn sich auch McKinsey als eine der führenden Unternehmensberatungen mit dem Faktor Mensch beschäftigt, und sie haben eine Studie im letzten Jahr veröffentlicht, in der es heißt, dass Unternehmen, die in ihre Mitarbeitenden Investieren, auch wirtschaftlich viel erfolgreicher sind. Das zeigt doch, dass die Investition in den Faktor Mensch doch ein wesentlicher Faktor ist, um im Markt bestehen zu können.

Julian Kirchherr: Ja, vielleicht einmal einen kurzen Abriss, was wir für diese Studie uns angeschaut haben. Also wir haben über 10 Jahre lang 1800 Unternehmen in der westlichen Welt uns angeschaut, und zwar sowohl angeschaut mit Blick auf deren wirtschaftlichen Erfolg, den sogenannten "Return on invested capital", als auch mit Blick darauf, wie zufrieden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind. Und was wir festgestellt haben, ist dann in der Tat, dass die Unternehmen, die sich besonders gut um die Mitarbeiter gekümmert haben, das kann zum Beispiel heißen, dass sie regelmäßig Coachinggespräche durchgeführt haben, eine sehr wertschätzende Kultur hatten, oder auch viel investiert haben in Fort- und Weiterbildung, dass das die Unternehmen waren, die über diesen 10-Jahreszeitraum insgesamt besonders wirtschaftlich erfolgreich waren, aber auch eben besonders zufriedene Mitarbeiter hatten.

Tobias Kirchhoff: Wie sieht denn dieses Investment in die Mitarbeiter aus?

Julian Kirchherr: Um einfach mal ein Beispiel rauszupicken aus dem Datensatz, wir haben uns zum Beispiel angeguckt, wie die Gewinnerkategorie wir haben die "People und Performance-Gewinner" genannt, investiert im Bereich Fort- und Weiterbildung, Versus der Schnitt im Datensatz, und da haben wir festgestellt, dass die Gewinner-Kategorie 74 Stunden pro Jahr die Mitarbeiter abstellt, für Fort-und Weiterbildung, die durchschnittlichen Unternehmen in unserem Datensatz nur 19 Stunden. Also wirklich ne große Diskrepanz, und man könnte jetzt auf den ersten Blick natürlich sagen: Mensch, 74 Stunden, das muss ja viel Geld kosten, da sind ja auch viel Opportunitätskosten hinter. Aber eben unser Datensatz zeigt, das lohnt sich auf den langen Zeitraum, weil das auch Mitarbeiter sind, die dann besonders produktiv sind, die besonders loyal sind, gerne und gut im Unternehmen bleiben.

Tobias Kirchhoff: 74 Stunden, lohnt sich da nicht, einfach neue Mitarbeiter mit dazu zu holen?

Julian Kirchherr: Auf jeden Fall gehört es bei einem gesunden Unternehmen auch immer dazu, neue Ideen reinzuholen. Also ich würde sagen, egal wie gut das Unternehmen läuft, man sollte immer auch aufs Recruiting achten. Nichts desto trotz, der Arbeitsmarkt ist ja in vielen Bereichen aktuell wirklich leergefegt, so dass auch die Rekrutierungskosten immer größer werden, und deshalb sagen wir eigentlich in Summe für viele Branchen, dass man nur mit der Rekrutierung die Talentbasis, die man braucht, eigentlich nicht sicherstellen kann, sondern man muss auf jeden Fall auch immer auf Fort- und Weiterbildung achten oder signifikant investieren.

Tobias Kirchhoff: Und wie sieht diese Fort- und Weiterbildung aus? In welche Skills muss man da investieren?

Julian Kirchherr: Ja, das hängt natürlich sehr stark von Branche zu Branche ab. Da gibt es natürlich eine andere Antwort, jetzt in der Automobilbranche als in der Chemiebranche. Nichts desto trotz gibt es aus meiner Sicht durchaus auch ein Set an Fähigkeiten, was im Grunde genommen über alle Branchen, doch fast über alle Senioritätsstufen hinweg relevant ist. Wir haben das in einer anderen Studie mal die sogenannten "Future Skills" genannt. Das sind Themen, Fähigkeiten wie zum Beispiel Digital Literacy, also der sag ich mal gekonnte Umgang mit Digitaltechnologie, sicherlich heutzutage auch künstliche Intelligenz, Themen wie digitale Interaktion, aber auch, sag ich mal, Basisfähigkeiten wie Kreativität und Problemlösungsfähigkeit, wo wir sehen, dass, wenn diese Fähigkeiten stark ausgebildet sind, in einem Unternehmen, egal in welcher Branche, dieses Unternehmen im Schnitt erfolgreicher unterwegs ist.

Tobias Kirchhoff: Und sie sprechen ja auch in dieser anderen Studie, um da vielleicht kurz zu bleiben, auch davon, dass es so drei Dimensionen von Skills gibt. Also, sie sprechen jetzt die "Digital Citizenship" an, aber es gibt ja noch weitere Themen.

Julian Kirchherr: Ja, ganz genau, wir haben das in der Studie unterschieden in drei Fähigkeiten-Cluster, das sind einmal diese digitalen, wir haben es "Digital Citizen Skills" genannt, das kann man eigentlich gar nicht so gut auf Deutsch übersetzen. Im Prinzip digitale, sage ich mal, Grundfertigkeiten, die jeder Bürger braucht, da ist zum Beispiel "Digital literacy" ein gutes Beispiel. Dann haben wir eine zweite Kategorie aufgemacht. Das sind die klassischen Fähigkeiten, die im Grunde genommen vor 50 Jahren auch schon wichtig waren. Aber wo wir sagen, die sind im Jahr 2024/2030 mindestens genauso wichtig: Kreativität, Resilienz, Problemlösungsfähigkeit, und dann gibt es eine dritte Kategorie, das sind die sogenannten technischen und technologischen Fähigkeiten, die sich allerdings sehr, sehr stark von Branche zu Branche unterscheiden. Also da brauche ich in der Bankenindustrie dann eben andere Spezialfähigkeiten als in der Chemiebranche/Automobilbranche.

Tobias Kirchhoff: Aber reicht es denn aus? Wenn ich jetzt meine Mitarbeiter schule, dann gehe ich ja auch das Risiko ein, dass ich mir sehr viel Arbeit mache, viel Geld und auch Zeit investiere, und dann gehen die woanders hin.

Julian Kirchherr: Ja, das ist auf jeden Fall immer eine große Sorge, die wir dann auch von, sag ich mal, den Führungsebenen hören, die darüber nachdenken, wie viel sie jetzt investieren sollen in Fort- und Weiterbildung. Vielleicht zwei, drei Gedanken dazu. Das erste ist, wir sehen in unserem Datensatz, dass die Mitarbeiter durchaus eine gewisse Loyalität an den Tag legen, wenn ihnen sie investiert wird. Das heißt, Unternehmen, wo viel in Fort- und Weiterbildung investiert wird, ist insgesamt die Mitarbeiterzufriedenheit höher und damit auch die Fluktuationsrate niedriger. Nichts desto trotz, das setzt natürlich immer noch so ein bisschen Vertrauen in Mitarbeiter heraus, und wir sehen in anderen Unternehmen auch, dass es da durchaus in Anführungszeichen Deals gibt, das gesagt wird "Wenn ich jetzt in deine Fort- und Weiterbildung investiere, dann verpflichtest du dich vertraglich, so und so lange danach bei mir zu bleiben". Also ein Beispiel von einem Unternehmen, die haben eine Fortbildung im Bereich Elektrotechnik für ihre Mitarbeiter angeboten, wirklich auch eine umfangreiche Fortbildung über 18 Monate, die auch mit vielen Studiengebüren einhergegangen ist, und da haben sie aber gesagt, okay, wer die macht, diese anderthalb Jahre Fortbildung, da bezahlen wir das, aber ihr müsst euch verpflichten, danach auch weitere 2 1/2 Jahre bei uns bleiben. Und so kann man es natürlich dann auch lösen, um sicherzustellen, dass die Mitarbeiter nicht einfach mit den neugewonnenen Fähigkeiten dann direkt für mehr Gehalt zum Konkurrenten gehen.

Tobias Kirchhoff: Dann scheint das ja gar nicht so schwer zu sein, die Mitarbeiter zu binden und auch zu den führenden Unternehmen aufzuschließen. Aber nach ihrer Studie sehen wir ja, dass die"People und Performance-Gewinner" nur 9 Prozent der gesamt-Unternehmenschaft ausmachen. Wieso sind das so wenig?

Julian Kirchherr: Ja, auf den ersten Blick möchte natürlich jedes Unternehmen in dieser Kategorie sein, also wirtschaftlich erfolgreich und auch mit zufriedenen Mitarbeitern. Unsere Daten zeigen, dass es so einfach dann aber eben nicht ist, und das hängt sicherlich auch mit den People-Departments zusammen, die in vielen Organisationen einfach bis heute nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdienen, wo es manchmal an Finanzierung mangelt, wo es an Personal mangelt, um da wirklich eine, der Berater sagt da mal gerne, Employee Experience zu schaffen, die dann auch sicherstellt, dass man in dieser Kategorie landet.

Tobias Kirchhoff: Was können Unternehmen da tun? Einfach die HR-HR-Abteilung aufstocken, oder gehört mehr dazu?

Julian Kirchherr: Ich würde sagen, mit Aufstocken ist vielleicht ein erster Schritt getan. Gelöst ist das ganze Thema schlagkräftig damit sicherlich noch nicht, sondern die Unternehmen, die wir da sehen, die am erfolgreichsten sind, sind nicht unbedingt immer die, die jetzt in Anführungszeichen die dicksten HR-Abteilungen haben, sondern es sind oft die, die halt besonders scharf drüber nachdenken "Was macht eigentlich bei uns eine herausragende Mitarbeitererfahrung aus?" Das sind dann die, die besonders viel Zeit investieren, sich zum Beispiel zu überlegen, wie sieht eigentlich so eine erste Woche für Mitarbeiter aus bei uns im Unternehmen, die sich überlegen, wie sieht eigentlich so ein Trainingscurriculum aus für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Wie wollen wir eigentlich. das Feedbackgespräche, Coachinggespräche, strukturiert sind, und ich glaube, dieses scharf darüber nachdenken und diese Erfahrung dann wirklich so zu bauen, dass sie im positiven Sinne hängenbleiben, die machen einen viel größeren Unterschied, als einfach nur zu sagen, da hauen wir jetzt mehr Budget, mehr Personal in die HR-Abteilung rein.

Tobias Kirchhoff: Das eine sind ja die Unternehmen, das andere sind ja auch die Mitarbeitenden. Sehen Sie da auch, dass da der Anspruch an das, was ein Unternehmen bieten soll, dass der da gestiegen ist?

Julian Kirchherr: Ja, was wir vor allen Dingen sehen, ist, dass das, was die Mitarbeiter wollen, immer nicht unbedingt das ist, das, was die HR-Abteilungen glauben, was die Mitarbeiter wollen. Also wir haben eine Umfrage auch gemacht, wo wir die HR-Abteilungen gefragt haben, was ist denn aus ihrer Sicht kampfentscheidend für die Mitarbeiter, um lange bei ihnen zu bleiben, und dann haben wir einfach die Mitarbeiter direkt gefragt, und da kamen interessanterweise unterschiedliche Ergebnisse raus. Die Mitarbeiter haben gesagt, und das war eine Umfrage in Deutschland, am allerwichtigsten ist uns nach wie vor Gehalt. Ja, das ist, glaube ich, jetzt auch noch mal wichtiger geworden, die letzten ein, zwei Jahre mit Blick auf die Inflation, aber Top eins ist bei uns Gehalt. Top zwei ist das ganze Thema Arbeitsklima, Kultur, und Top drei ist das ganze Thema flexible Arbeitszeiten. Und dann haben wir die HR-Abteilungen gefragt, und bei denen ist Gehalt nur auf Platz vier gelandet, hatten sie gar nicht auf dem Schirm, dass das den Mitarbeitern so wichtig ist, und sie haben gesagt, Platz eins ist Arbeitsklima, Platz zwei Arbeitsplatzsicherheit und auf Platz drei das ganze Thema flexibles Aarbeiten. Also, ich glaube, da ist ein Lerning in Anführungszeichen für die HR-Abteilungen, nochmal genauer zuzuhören, was die Mitarbeiter eigentlich wirklich wollen, um zufrieden zu sein, um lange im Unternehmen zu bleiben.

Tobias Kirchhoff: Ja, das ist das, was die Mitarbeitenden konkret fordern, und was können jetzt Unternehmen konkret tun, um diese Mitarbeiterzufriedenheit zu erhöhen?

Julian Kirchherr: Ja, ich würde sagen, die Liste, die ich gerade aufgezählt habe, was sind die wichtigen Themen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Die gibt erste Anhaltspunkte. Also, ich glaube, dass sowas wie Arbeitsplatzflexibilität sicherlich nach wie vor ein großes Thema ist, und das bedeutet mehr, als einfach nur, sage ich mal, einen Billardtisch ins Büro zu stellen und coole Smoothies im Kühlschrank zu haben, sondern halt wirklich auch darüber nachzudenken, okay, wie kann ich allen meinen Mitarbeitern, sowohl im Blue Collar als auch im White Collar-Bereich, eigentlich ermöglichen, flexibel zu arbeiten, auch kurzfristig meine Arbeitszeiten anzupassen? Das ganze Thema Arbeitsklima hat ganz viel zu tun damit, wie eigentlich die Chefs und Chefinnnen im Unternehmen ticken, und ich glaube, da muss ich sagen, dass gerade in Deutschland, glaube ich, es dann noch Luft nach oben gibt, was da manchmal die, sag ich mal, Führungskultur anbelangt, und last but not leaset, ich habe es ja auch gesagt, das ganze Thema Gehalt, auch das ist was, wo man gerade in der aktuellen Zeit sicherlich als HR-Department wieder drüber nachdenken muss. Man muss es, glaube ich, nicht plump im Sinne von einfach nur 10 Prozent mehr Gehalt, man kann sich auch überlegen, okay, wie setzt sich eigentlich ein Gehalt zusammen? Was sind da vielleicht zusätzliche Benefits, die ich bringe? Abseits von einfach nur mehr Euros. Aber ich glaube, das ist auch ein Thema, an dem kommt man heutzutage nicht drum herum, wenn man sich überlegt, einen attraktiven Arbeitsplatz zu schaffen, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein.

Tobias Kirchhoff: An dieser Stelle machen wir eine kurze Unterbrechung, die ich für einen Hinweis nutzen möchte. Wenn ihr Fragen, Anregungen oder eigene Themenvorschläge habt, dann schreibt uns gerne eine Mail an leadgut@tuv.com oder besucht uns auf unserer Webseite tuv.com/leadgut und wenn euch unser Podcast gefällt, freuen wir uns natürlich, wenn ihr ihn abonniert oder eine gute Bewertung schreibt oder am besten beides. Das war es auch schon. Weiter geht's mit dem Gespräch mit Dr. Kirchherr.

Tobias Kirchhoff: Sie haben es gerade angesprochen, das Thema Führungskultur. Ich ziehe jetzt mal den Rückschluss, oder würde sie bitten, dass sie einen Rückschluss zur Studie ziehen. Gibt es da irgendwelche Indikationen, wie die Führungskultur bei den Gewinnern bei People & Performance anders ist als bei den Durchschnittsunternehmen?

Julian Kirchherr: Ja, also da sehen wir in der Tat einen großen Unterschied im Datensatz. Im durchschnittlichen Unternehmen in Deutschland wird die Führungskultur eher als hierarchisch, man könnte auch sagen anordnend beschrieben. Also Führungskultur, wo im Prinzip eine Anweisung gegeben wird, und dann wird, ich formuliere jetzt etwas überspitzt, wird, im Grunde genommen abgeleistet, wohingegen bei diesen People & Performance-Gewinnern wir ganz häufig eine Führungskultur sehen, die wir eher als Coaching-Kultur beschreiben würden. Also, da geht es dann der Führungskraft darum, gar nicht einfach nur exakt vorzugeben, was gemacht wird, sondern Freiräume zu bieten, da zu sein, wenn es Probleme gibt, die Aufgabe zu erledigen, und im Grunde genommen ein viel einfühlsameres, empathischeres führen, als wir es jetzt, sage ich mal, im Durchschnittsunternehmen im Datensatz sehen.

Tobias Kirchhoff: Wie kann es in einem Unternehmen gelingen? Nehmen wir mal an, man ist in einem eher konservativen Unternehmen unterwegs. Wie komme ich da von dieser klassischen Anordnungs Kultur zu einer Coaching-Kultur?

Julian Kirchherr: Ja, ich glaube, das ist die 1 Million Euro Frage, Herr Kirchhoff.

Tobias Kirchhoff: Deswegen stelle ich sie ja ihnen.

Julian Kirchherr: Genau, weil ich würde sagen, in der Tat, da gibt es wahrscheinlich kein Patentrezept, was Ratzfatz zu Ergebnissen führt, sondern wir sehen immer wieder in vielen Situationen, wie wir arbeiten, dass Kultur doch etwas ist, was ich nur sehr, sehr schrittweise und langsam ändert. Also da kann ich jetzt nicht einfach nur allen Führungskräften irgendwie ein 2-Tagiges Seminar zu Leadership, irgendwie im Hotel in Bottrop oder Wanne Eickel Verschreiben, und dann wird alles besser, sondern das ist was, wo ich lange am Ball bleiben muss, wo ich viel Überzeugungsarbeit leisten muss, bei bestehenden Führungskräften, wo es wahrscheinlich aber auch nicht funktionieren wird, wenn ich nur auf die bestehenden Führungskräfte setze, sondern wo es, glaub ich, auch wichtig ist, sie hatten ja auch vorhin das Thema recruiting angesprochen, auch neue Führungskräfte reinzubringen, die vielleicht auch mal den bestehenden Führungskräften eine andere Art zu Führen zeigen, und ich glaube, wenn das geschieht, wenn das gelingt, kann es in so einem Unternehmen positive, sage ich mal, Abguckeffekte geben, dass dann Schritt für Schritt sich da eine andere Kultur etabliert, wie Mitarbeiter geführt werden, wie zusammengearbeitet wird.

Tobias Kirchhoff: Ich würde gerne noch mal einen Schritt zurückgehen und auf die Bildungsmaßnahmen zu sprechen kommen. Da gibt es ja Möglichkeiten von Upskilling, von Reskilling. Wir haben vorhin schon die drei Bereiche angesprochen. Es gibt ja auch sowas wie Bildungsurlaub, der ja wohl in Deutschland kaum genutzt wird, weil die wenigsten das wissen, dass ihnen der zusteht. Wie sehen sie da diese verschiedenen Möglichkeiten der Bildung, und was ist für wen geeignet?

Julian Kirchherr: Also, wir stellen immer wieder fest, dass die Unternehmen, die besonders erfolgreich sind beim Thema Fort- und Weiterbildung, das eigentlich mit wenig staatlicher Unterstützung tun, dass insbesondere dieses Instrument des Bildungsurlaubs von diesen Unternehmen eigentlich wenig genutzt wird. Das, glaube ich, sollte uns allen zu denken geben. Vielleicht ist das ein Instrument, was man noch mal anders aufsetzen müsste, aufsetzen könnte, wenn wir Upskilling und Reskilling anschauen. Vielleicht einmal ganz kurz zur Begriffsklärung: Upskilling heißt für uns eigentlich immer, dass in einer bestehenden Rolle ich neue Fähigkeiten hinzugewinne, und Reskilling wäre für uns wirklich, dass ich von einer Rolle eine komplett andere Rolle umgeschult werde. Da sehen wir das im Bereich Upskilling eigentlich besonders erfolgreich ist, wenn die Unternehmen das möglichst minimalinversiv implementieren. Was ich damit meine, ist im Grunde genommen, dass in jeder Woche es vielleicht irgendwie 15, 20 Minuten Wissensangebot gibt für die Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter, wo man einfach so einen neuen Impuls bekommt und ein bisschen ein neues Thema reinguckt, das eigentlich so das, was die erfolgreichsten Unternehmen im Bereich Upskilling machen. Und Reskilling ist eine Idee, die wir immer häufiger sehen, die aus unserer Sicht auch gut funktioniert, sind die sogenannten Reskilling Hubs, also Reskilling Hubs sind im Grunde Organisationseinheiten, deren einzige Aufgabe es ist, ganze Teilorganisationen komplett umzuschulen, in andere Rollen. Ich durfte kürzlich ein Projekt begleiten in den USA bei einer Versicherung, wo die Versicherung ein großes Digitalisierungsprogramm gefahren hatte und dadurch im Prinzip ein Drittel der Mitarbeiter komplett umschulen musste. Und die haben dann auch so einen Reskilling Hub aufgesetzt und über diesen Reskilling Hub sukzessive innerhalb von anderthalb Jahren im Prinzip ein Drittel der gesamten Belegschaft in komplett neue Rollen umgeschult. Das besondere hier, das zumeist zu Beginn des Eintritts diese Reskilling Hubs schon mal feststand, okay, was ist denn jetzt eigentlich die zukünftige Rolle, in die Mitarbeiter geht, und dass außerdem das ein Fulltime Reskilling war, also die Leute sind wirklich für ein/ anderthalb Jahre rausgegangen aus dem Job, haben komplettes Reskilling gemacht und sind dann wieder integriert worden, also sehr, sehr intensiv. Das hat jetzt in diesem Beispiel sehr, sehr gut funktioniert, und nach 18 Monaten war da wirklich ein Drittel der Belegschaft wieder so aufgestellt, dass sie an anderer Ecke im Unternehmen weitermachen konnten.

Tobias Kirchhoff: Sie haben gerade gesagt, das ist ein Beispiel aus den USA. Gibt es in Deutschland ähnliche Beispiele, oder tun wir uns da noch schwer?

Julian Kirchherr: Also wir sehen, dass gerade die Industrien, die besonders stark betroffen sind von großen Umbrüchen, also insbesondere die Automobilindustrie, aber auch die Energiebranche, dass die gerade auch beginnen, mit solchen Ansätzen zu experimentieren, und ich würde sagen, gerade die Automobilindustrie in Deutschland hat in letzten 12 bis 24 Monaten gezeigt, dass sie durchaus verstanden hat, dass das jetzt ein echtes Thema ist und da große, große Summen mobilisiert, um auch analog dieser Skilling Hub-Idee große Teile der Belegschaft umzuschulen.

Tobias Kirchhoff: Sie haben gerade die USA als Beispiel genannt. Gibt es noch andere Länder, wo sie sagen: Mensch, das ist ein ganz guter Weg, um nach vorne die Mitarbeiter mitzunehmen und auch an das Unternehmen zu binden?

Julian Kirchherr: Ich finde, Singapur ist für mich auch immer wieder ein spannendes Beispiel, einfach weil ich glaube, da im gesamten Land wirklich so eine Kultur des lebenslangen Lernens vorherrscht, auch institutionell, und damit meine ich auch quasi durch den Staat begünstigt. Da hat im Prinzip jeder Bürger Zugriff auf Bildungsgutscheine, die er nutzen kann, jedes Jahr für Fort- und Weiterbildung. Bildungsgutscheine zu hochrelevanten Fähigkeiten, wir würden sagen, zu Future Skills und wo wir auch sehen, dass das regelmäßig im Prinzip von vielen Bürgern genutzt wird. Ich glaube, das ist auch noch ein Beispiel, was man sich gut angucken kann in Deutschland, insbesondere wenn man sich überlegt, wie man den deutschen Bildungsurlaub vielleicht nochmal anders aufsetzen möchte.

Tobias Kirchhoff: Ja, das wäre auch meine nächste Frage. Es reicht ja anscheinend nicht nur, dass man sagt, so, wir bieten dir ein Angebot. Es gibt ja auch das Qualifizierungschancengesetz, wo ich ja sogar noch Geld vom Staat bekomme, um Maßnahmen durchzuführen. Aber auch das wird ja in Deutschland gar nicht so genutzt. Was macht da Singapur zum Beispiel anders als Deutschland?

Julian Kirchherr: Ja, ich glaube, grundsätzlich ist natürlich wichtig bei solchen Instrumenten, dass der Zugang so geregelt ist, dass man da schnell loslegen kann, und ich glaube, was in Singapur immer gut funktioniert, ist, dass man im Prinzip mit wenigen Klicks sich Zugang verschaffen kann, A) zu Subventionen, B) auch zu konkreten Bildungsmitteln, und da einfach die Barrieren sehr, sehr niedrig sind. Und ich glaube, das ist sicherlich auch eine Frage, sag ich mal, des Digital Government, wenn ich das so sagen darf, und ich glaube, da kann man sich sicherlich in Deutschland noch einiges abschauen.

Tobias Kirchhoff: Das denke ich auch, vielleicht damit verbunden. Das Thema Generative KI. Ist das für uns hier in unserer Gesellschaft auch noch mal ein Thema, wenn ich sage, ich rede über Upskilling /Reskilling, dass da demnächst auch Themen auf den Markt kommen, die uns helfen können, uns da weiterzuentwickeln?

Julian Kirchherr: Ja, vielleicht zwei, drei Gedanken dazu. Das ist ja in der Tat ein Thema, was gerade vielerorts heißt, diskutiert wird. Ich glaube, KI kann im Bereich Fort- und Weiterbildung ganz enorm helfen, weil eine Herausforderung, die ich bei vielen Unternehmen sehe, oftmals ist, dass sie zwar ganz tolle Lernplattformen haben mit vielen Lerninhalten, dass aber dann die Mitarbeiter sich da gar nicht zurecht finden, und im Grunde aber gar nicht wissen, was sind denn jetzt die Angebote, die wirklich passend sind, und da habe ich jetzt erste HR-Abteilungen gesehen in Deutschland, die damit experimentieren, KI einzusetzen, um personalisierte Vorschläge zu machen, was jetzt eigentlich spezifisch für den Mitarbeiter eine Lernreise sein könnte, die Sinn macht als nächster Schritt. Und ich glaube, da kann man mit KI im Grunde genommen, der Berater, sagt immer gern, "Return on Learning" ein ganzes Stück nach oben schrauben. Zweiter Gedanke hier: Ich glaube natürlich, dass auch der Umgang mit KI wahrscheinlich eine digitale Grundfertigkeit ist, die in vielen White Collar Jobs wichtig ist. Es gab ja vor einem Jahr eine ganze Reihe an Zeitungsartikeln, die jetzt gesagt haben, ein neuer Job, der entsteht, ist der Prompt Writer, also jemand im Prinzip, der den ganzen Tag nichts anderes macht, außer bei ChatGPT Befehle einzugeben. Ich glaube, das ist kein eigener Job. Ich hab da auch bei Stepstone, muss ich gestehen, lange keine Jobausschreibungen mehr zu gesehen, sondern ich glaube, Prompt Writing ist eigentlich ein Skill, die jeder in Anführungszeichen Büromitarbeiter braucht, also quasi gut mit einer GenAI wie ChatGPT 4.0 umgehen zu können, um bei manchen Arbeiten ein Stück weit schneller zu sein. Ich glaube, das ist ein Skill, den brauchen alle, und auch da ist natürlich dann wieder die For-t und Weiterbildungs-Abteilung gefragt, da Angebote zu schaffen, dass alle Mitarbeiter diesen Skill ausbilden können.

Tobias Kirchhoff: Also quasi wie ein Office Paket, was man angefangen hat, vor 30 Jahren zu lernen, so dass man die ganzen Derivate von Microsoft Office dann einfach auch beherrschen kann.

Julian Kirchherr: Ganz genau, und ich würde sagen, das Schöne an künstlicher Intelligenz ist ja, dass man da ehrlich gesagt viel, viel weniger lernen muss. Ja, ich meine, wir erinnern uns da alle noch irgendwie zurück, wie mühselig das immer war, früher Texte zu formatieren, und wie viel man bei Google irgendwie noch nachschauen muss, wie das jetzt genau macht. Das ist ja mittlerweile viel, viel einfacher geworden, und in Microsoft selbst, in Microsoft Copilot ist jetzt auch schon KI integriert. Also, ich glaube, da kann man in der Tat die Dauer, die da aufs Lernen investiert wird, massiv reduzieren, weil ja KI dann doch sehr, sehr zugänglich ist.

Tobias Kirchhoff: Lassen sie uns gegen Ende des Gesprächs nochmal zu einem Thema kommen, was mich persönlich sehr interessiert. Das haben sie auch als Megatrend im HR- Bereich beschrieben, beziehungsweise es ist eh ein Megatrend in der Arbeitswelt, das Thema der sinnstiftenden Tätigkeit. Woran machen sie fest, dass dieses Thema der Haltung auch eines Unternehmens heute viel wichtiger ist als beispielsweise vor 30 Jahren?

Julian Kirchherr: Ja, ich glaube, wenn man die Zeitung aufschlägt, aber auch die einschlägigen HR-Blogs, dann kann man sich ja dem Eindruck nicht verwehren, dass Purpose, Sinnhaftigkeit der Arbeit ein Megathema ist. Wir sehen auch gerade, dass bei denen, die neu in den Arbeitsmarkt reingehen, dann in der Tat stark darauf geachtet wird. Wir haben eine Umfrage gemacht, wo knapp 90 Prozent der Gen Z gesagt haben, sie wären bereit, auf Gehalt zu verzichten, wenn dafür das Unternehmen wirklich was sinnhaftes macht. Allerdings, glaube ich, muss man das zeitgleich auch ein Stück weit in Kontext setzen. Ich hatte ja eingangs diese Liste auch skizziert im Sinne von: was sind so die Top Themen? Und da ist unter den Top drei Themen der Mitarbeiter Purpose nicht dabei. Das hatte ich ja gesagt, das ist Gehalt, das ist Arbeitskultur, das sind flexible Arbeitszeiten, das taucht dann schon auf irgendwie unter Top 5, Top 6. Also ist jetzt nicht von der Hand zu weisen, dass es wichtig ist. Aber es ist jetzt nicht das eine Thema, was, sag ich mal, allumfassend ist, was komplett entscheidend ist. Also, ich glaube, wenn man sich nur bei Purpose als Unternehmen gut aufstellt, dann ist man noch nicht automatisch in der People und Performance-Winner Kategorie, die wir eingangs skizziert hatten.

Tobias Kirchhoff: Wir sind ja mit lead:gut ein Podcast, der sich an Führungskräfte wendet. Wenn sie unseren Hörern jetzt am Ende einen Tipp geben können, wie sie ihre Mitarbeitenden besser halten, zufriedener machen und dass sie einfach im Unternehmen ihren Job tun, welches wäre der eine ultimative Tipp, den sie unseren Hörern mitgeben?

Julian Kirchherr: Der eine Tipp wäre, wirklich viel zu investieren in Coaching und Feedback. Aus meiner Sicht gibt es nichts, was eine günstigere Fort- und Weiterbildungsmöglichkeit ist. Und es gibt auch nichts, was gleichzeitig die Mitarbeiter mehr motivieren kann, als wenn sie merken, dass der Chef, die Chefin, sich wirklich Zeit nimmt und sehr spezifisches Feedback gibt, Tipps gibt, Hinweise gibt, wie man Arbeit besser machen kann, wie man sich weiterentwickeln kann. Und ich glaube, da muss man auch aufpassen, dass man sich nicht sagt, Mensch irgendwie, das ist doch auch die Aufgabe von HR, des People-Departments, da performance Management zu machen. Ganz im Gegenteil, ich würde sagen, so was ist Aufgabe der Führungskraft, und da kann die Führungskraft dann auch einen signifikanten Beitrag leisten, dass das eigene Unternehmen in dieser People & Performance Kategorie am Ende landet.

Tobias Kirchhoff: Lieber Herr Doktor Kirchherr, vielen Herzlichen Dank für dieses sehr inspirierende Gespräch, und an euch da draußen ein herzliches Dankeschön fürs Zuhören. Das war eine weitere von von lead:gut, mein Name ist Tobias Kirchhoff, und ich gehe davon aus, ihr kehrt heute sehr inspiriert in euren Arbeitsalltag zurück. Bleibt Neugierig.

Outro: lead:gut - Inspiration für Führungskräfte.

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