Thomas Sattelberger - Gegen das Mittelmaß
Shownotes
Einen Rundumschlag in Sachen Führung macht lead:gut mit dem Gast dieser Folge, Thomas Sattelberger. Er hat mehr als 50 Jahre Unternehmens- und Politikerfahrung, war bei so unterschiedlichen Konzernen wie Daimler, Lufthansa, Conti und Telekom in leitender Personalverantwortung. Mit 67 wurde er parlamentarischer Staatssekretär im Bildungsministerium und mit seinem erfolgreichen Engagement in den sozialen Medien beweist er erneut seine Lust, Neues zu erkunden. Als Autor verpflichtet er sich zur kritischen Gegenrede und legt den Finger in zahlreiche Wunden, an denen Deutschland krankt. lead:gut fragt nach:
Wie hat sich Führung in den vergangenen Jahrzehnten verändert? Sind unsere Führungskräfte zu ängstlich? Warum sollten Ingenieur:innen ihr Skillset erweitern? Wie unterscheidet sich Zusammenarbeit in Wirtschaft und Politik? Sollten wir in Deutschland neben MINT auch auf mehr politische Bildung setzen? https://thomas-sattelberger.de
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Thomas Sattelberger: Ich glaube, wir haben eine Chance, uns wirklich zu sanieren, aus unserer selbstgefälligen und mittelmäßigen und zum Teil leistungsfeindlichen Kultur wieder zu einer erfolgreichen Nation zu werden, Komma, wenn wir die Demokratie in diesem Lande gewährleisten. #00:00:20-5#
Intro: lead:gut, Inspiration für Führungskräfte. #00:00:26-3#
Tobias Kirchhoff: Ich bin Tobias Kirchhoff und Führungskraft beim TÜV Rheinland. Gemeinsam mit meinen Gästen bespreche und Hinterfrage ich aktuelle Leadershipkonzepte und -Ideen. Führung damals und heute -hat sich da vieles geändert? Ist vieles gleich geblieben? Heute möchte ich mit jemandem sprechen, der sich schon seit Jahrzehnten in Führungspositionen tummelt, und zwar bei der Lufthansa, bei der Telekom, bei der Continental, und hat da das People-Business gestaltet und setzt sich auch heute noch aktiv für gute, moderne Führung eine. Er schreibt Bücher, tritt als Speaker auf und hat bei Tik Tok bemerkenswerte 150.000 Follower. Er hat einen eigenen Podcast, den er "Schräg im Stall" nennt oder "Klappe! Thomas trifft..." Ich treffe heute Thomas Sattelberger, Ex-Personalvorstand, Staatssekretär im Ruhestand und heute umtriebiger Unternehmer. Herzlich willkommen, Thomas Sattelberger! #00:01:29-4#
Thomas Sattelberger: Ja, dankeschön für die Einladung zum Podcast. #00:01:32-0#
Tobias Kirchhoff: Herr Sattelberger, die heutige Führungskultur bei Unternehmen, hat die sich von früher weiterentwickelt, oder sagen sie, na ja, so wie es vor Jahrzehnten war, hat sich eigentlich gar nicht so viel getan. #00:01:51-8#
Thomas Sattelberger: Na ja, also, sie hat sich schon entwickelt, als ich als junger Mann bei Daimler war, da war Führung eigentlich ganz simples Management. Da war der Kunde nicht so im Blickwinkel, da war auch der Aktionär nicht im Blickwinkel, sondern das Unternehmen hat sozusagen sein Ding gemacht, und Führung hieß Ziele setzen, delegieren, kontrollieren. Und die Welt hat sich natürlich in diesen Jahrzehnten groß geändert. Es gab mal eine lange Phase, die nenne ich heroische Führung. Da hat man geglaubt, es seien die großen Führerinnen und Führer, meistens natürlich Männer, die die Welt bewegen, und die Wirtschaftswelt bewegen, hat vergessen, dass es die vielen Menschen sind, die im Team zusammen das Machen. Das war auch ne fast zehnjährige Phase von übersteigerter Egozentrik. Heute findet man immer noch ein paar Fabrikate dieser Führungsfiguren in der Welt, und dann eigentlich jetzt erleben wir doch eine Vielfalt an Führung. Es gibt sehr dümmliche Führung, die glaubt, man könnte sozusagen via Zoom mit Managementritualen könnte man Führung gestalten. Es gibt natürlich auch heute noch heroische Führung, es gibt charismatische Führung. Ich würde mal folgendes sagen, egal wie die Ausprägung des Typs ist, am Schluss ist die Wirtschaftswelt geprägt durch extreme Turbulenzen und zum zweiten durch Disruptionen technologischer Art, und das heißt im Grunde, ein Führender muss ein Segelschiff durch schweres Gewässer steuern können und schauen, dass die Mannschaft an Bord bleibt und tüchtig arbeitet. So, und das nennt man dann transformationale Führung. #00:03:58-5#
Tobias Kirchhoff: Ich finde, das ist ein sehr, sehr schönes Bild, was sie da ansprechen, dass man sagt, es ist ein Schiff, was ich da steuern muss. Früher konnte ich es eben per Befehl machen. Sie haben es gerade gesagt. Was braucht man denn heute dazu? Weil die Mannschaft, die folgt ja auch in der Regel nicht einfach mehr den Befehlen, und wenn ich da versuche, dann so reinzugehen, komme ich ja nicht weiter. Was haben sie da gelernt in ihren Jahren in der Führung? Was braucht es da für die Führungskräfte? #00:04:22-0#
Thomas Sattelberger: Naja, in kritischen Zeiten braucht es schon eine starke Gefolgschaft, und eine starke Gefolgschaft kommt eigentlich nur dann her, wenn man klar führt. Das heißt, wenn man seine Ziele transparent und überzeugend vermittelt und wenn man den Menschen Zuversicht gibt, dass man auch in stürmischem Wetter das Segelboot in den sicheren Hafen steuert. Das bedarf übrigens einer hohen persönlichen Bescheidenheit und einer hohen Überzeugtheit für die Sache. #00:04:58-2#
Tobias Kirchhoff: Aber da kommen wir bei dem charismatischen Führungsstil oder bei dem, sie haben ihn gerade jetzt dümmlich genannt, also bei dem sehr Top Down Führungsstil, da kommen wir ja nicht weiter. #00:05:07-4#
Thomas Sattelberger: Naja also, Krisenzeiten sind schon Zeiten, wo die Stimme an der Spitze eine ganz zentrale Bedeutung hat. Jetzt, in Schönwetterzeiten, klar, da gibt es ganz viel Konsensbildungsrituale, jeder darf seine Meinung sagen und es wird zugehört. Aber in kritischen Zeiten ist man oft ganz alleine als führender Mensch, und ich habe selber 4, 5 Mal in meinem Berufsleben solche Situationen erlebt, wo eigentlich Menschen eher verängstigt sind, unsicher sind und eine klare Ansage erwarten. Ich würde schon unterscheiden zwischen einem Führungsstil in Schönwetterzeiten und einem Führungsstil in kritischen Zeiten. #00:05:52-6#
Tobias Kirchhoff: Ist es dann wahrscheinlich so, dass man sagt, in Schönwetterzeiten ist es eher der moderative Stil, der dann eben auch Konsens bildet, weil man sich das ja so rausnehmen kann, und dann eher zu den Zeiten, in denen wir ja jetzt auch gerade wieder unterwegs sind, muss es halt der Wegweiser sein und der die Leute... #00:06:10-6#
Thomas Sattelberger: Der direktivere Führungsstil, davon bin ich überzeugt. Die interessante Frage heißt, muss man nicht schon in Schönwetterzeiten auch ab und an direktiv sein, damit Menschen sehen, dass es auch anders nötig sein kann oder andere Varianten gibt? Wahrscheinlich ja. Deswegen sprechen ja auch wirklich Unternehmenskundige Menschen davon, dass eigentlich sich ein Unternehmen auf Krisen vorbereiten muss. Man nennt es dann künstliche Krisen oder Notfallübungen oder Stresstests, und dort ist im Grunde dann sicherlich die direktivere Form die Richtungsweisendere. #00:06:52-2#
Tobias Kirchhoff: Ist es denn so, wenn wir noch mal kurz früher mit heute vergleichen, weil sie gesagt haben, es muss eine Klarheit da sein. Die Ziele müssen klar sein, dass da schon Führungskräfte stärker auch kommunizieren müssen, auch wenn sie direktiv unterwegs sind? #00:07:07-2#
Thomas Sattelberger: Ja, natürlich, ich hab mal über mich gesagt, ich bin eine wandelnde Litfaßsäule für die Themen des Unternehmens. Natürlich sind die Führungskräfte diejenigen, die am ehrlichsten und authentischsten und nachvollziehbarsten im Grunde das kommunizieren können. Und übrigens sind die Menschen, die schauen sehr genau hin in jede Bewegung. In die Augen, die durchdringen einen mit ihren Blicken und stellen fest, der oder diejenige ist ehrlich und glaubwürdig, ja oder nein? #00:07:44-3#
Tobias Kirchhoff: Und, das ist meine Erfahrung, sie hören tatsächlich zu, und sie werden auch später mit Aussagen und Themen konfrontiert, die sie irgendwann mal geäußert haben. #00:07:56-2#
Thomas Sattelberger: Ja, natürlich, ich bin übrigens ein entschiedener Anhänger von Führung, die underpromised, aber overdelivered. Also, die weniger verspricht und nachher mehr leistet, denn es gibt nichts schlimmeres als enttäuschte Erwartungen von Menschen. #00:08:13-8#
Tobias Kirchhoff: Ja, und ich glaube, das ist sogar auch der richtige Weg. Man sagt ja, mindestens müsste es ja sein "Walk the Talk", und da gehen sie ja dann noch einen Schritt weiter, eher die Erwartungen niedrig halten, um dann vielleicht hinterher eher begeistern zu können. Quasi das Kano-Modell, was man aus dem Marketing kennt, wo man sagt, so, das sind dann Begeisterungsaspekte, die ich dann auch meinen Mitarbeitenden dann äußern kann. In ihrer Autobiografie "Ich halte nicht die Klappe" sprechen sie auch über Erfahrung mit Hierarchie und Bürokratie. Wie können aber Führungskräfte das überwinden? Weil ganz häufig hört man ja "ich kann ja nicht, weil", oder sie sind einfach auch in gewissen Zwängen drin, die dann doch sehr bürokratisch sind. Beziehungsweise ich bin ja in der Regel, wenn ich nicht ganz oben Top bin, nicht Alleinherrscher, sondern muss mich ja auch mit den Kolleginnen und Kollegen extrem abstimmen. #00:09:11-7#
Thomas Sattelberger: Also, wenn Führungskräfte jammern, dass sie in Systemzwängen drin sind, dann nehme ich das überwiegend nicht ernst, weil ich immer wieder erlebt habe, dass Menschen die Grenzen viel dichter und näher einschätzen, als sie wirklich sind. Und im Grunde ist es häufig die Angst des Torwarts vor dem Elfeeter oder die Angst, den verbotenen grünen Rasen zu betreten, und in dieser Sorge und Furcht vor etwas nehme ich mich zu stark zurück. Also natürlich, Bürokratie ist da, und Bürokratie ist schlussendlich wie ein Gefängnis. Aber die Spielräume des Menschen sind deutlich mehr vorhanden, als er sie nutzt, und ich kann eigentlich erst den Gefängnisausbruch wagen, wenn ich vorher meine Spielräume trainiert habe. Diese ganze Frage des Probierens, des Experimentierens, des nicht nur von Transformation über andere sprechen, sondern auch sich selber zu transformieren und selber seine Grenzen tatsächlich dann zu erleben, das ist im Grunde die große Herausforderung. Ich schreibe übrigens gerade ein zweites großes Buch, das heißt "Radikal neu gegen Mittelmaß und Abstieg", weil ich natürlich erlebt habe, dass im internationalen Vergleich auch unsere Führungskräfte und unsere Politiker viel ängstlicher sind. #00:10:47-2#
Tobias Kirchhoff: Aber warum ist das so? Weil eigentlich können wir doch, wenn wir auch zurückgucken auf unsere Gesellschaft, auf unsere Geschichte der Bundesrepublik, können wir doch stolz sein, und gerade weil man, wenn man zurückschaut, so viel geschafft hat in diesem Land. Warum sind Manager, Führungskräfte ängstlich bei uns? #00:11:05-5#
Thomas Sattelberger: Na ja, also erstens macht zu viel Erfolg süchtig, und das ist ja ein großes Problem in der Transformation, dass im Grunde alte Erfolgsmodelle brüchig werden, aber man es selber nicht wahrhaben möchte, und dann sieht man plötzlich, dass die ganze Welt sich ändert und man selber stehengeblieben ist. Und das ist ja die Situation heute. Ich meine, man muss es nüchtern sagen, wir sind kranker Mann Europas, und wir sind nicht nur auf dem Weg dazu, wir sind es. Nationen wachsen, auf die wir früher runter geschaut haben, arrogant. Das ist der eine Grund, die Erfolgssüchtigkeit. Zum zweiten, wir haben es nicht gelernt, und das gilt sowohl für die Unternehmen wie für die Nation, neben unseren erfolgreichen Standbeinen möglicherweise erfolgreiche Spielbeine zu schaffen, also neue Geschäftsmodelle, mit denen wir experimentieren. Und das löst natürlich auch Angst aus, wenn man sieht, dass man das Experimentieren verlernt hat. Und das dritte ist unser Hang zum Perfektionismus, denn die digitale Welt, die erwartet nicht das Perfekte, sondern die erwartet das Genügende, und dann kann ein Produkt beim Kunden reifen, und und und... da geht uns unser Perfektionismus, auch unsere extreme Fachlichkeit. #00:12:33-7#
Tobias Kirchhoff: Da wird quasi das Ingenieurstum zum zum Problem, was eigentlich ja ein Wettbewerbsvorteil ist. #00:12:39-2#
Thomas Sattelberger: Ja, und da wird es zum Problem, und es gibt ja auch internationale Studien, die sagen, die Deutschen Führungskräfte, die sind unschlagbar beim Thema Effizienz und Kostenmanagement und Prozessoptimierung. Aber sie tun sich extrem schwer mit dem Thema Vision, mit dem Thema Zukunftsbild, mit dem Thema Strategie, und wenn sie Strategie machen, dann relativ technokratisch. #00:13:04-2#
Tobias Kirchhoff: Sie haben ja auf der Unternehmensseite viele Jahrzehnte verbracht, konnten da auch schauen, wie werden wir mutig, wie können wir mutiger werden und sind dann vor einigen Jahren in die sehr aktive Politik auch gewechselt. #00:13:18-5#
Thomas Sattelberger: Also ich habe eine unstillbare Neugierde auf Neues. Und das hat dazu geführt, dass ich nach 20 Jahren Daimler dann plötzlich in die Luftfahrt ging, für 10 Jahre, dann zum Automobilzulieferer Conti und dann zur deutschen Telekom, also im Grunde im Unterschiedlichen Sparten. Und als ich dann so 67 war, sagte ich mir, jetzt musst du noch mal einen ganz großen Sprung wagen ins kalte Wasser, und das ist die Politik. Das hat mich extrem neugierig gemacht, wie dieses politische System funktioniert, und ich würde mal folgendes sagen: als Staatssekretär, mein Arbeiten im Ministerium, das hat mir richtig Freude gemacht. Was ich total unterschätzt habe, ist die Egozentrik, die Missgunst, das Kämpfen im parlamentarischen Sektor. Also da ist die Wirtschaftswelt inzwischen schon deutlich zivilisierter geworden. #00:14:21-9#
Tobias Kirchhoff: Also ist das so? Weil, ich bin ja auch noch sozialisiert, wo Konzerne gegeneinander gekämpft haben, wo es wirkliche Schlachten gab damals um die Hoheit, also auch mit allen Winkelzügen. Ich glaube auch, dass das viel besser geworden ist, aber in der Politik ist das immer noch so? #00:14:37-5#
Thomas Sattelberger: Ja. Ich meine, ich habe jetzt 50 Jahre Industriegeschichte auf dem Buckel, gerade die 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts und das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts, die waren noch eigentlich solche Jahre der Machtkämpfe auch innerhalb von Unternehmen, von Egomanen untereinander, und darüber haben wir ja vorher gesprochen, diese heroische Führung. Natürlich gibt's das immer noch, und schwarze Schafe gibt es immer noch, aber es ist viel zivilisierter geworden. Also, ich glaube, dass in Unternehmen heute eine Kultur des dosierten Vertrauens mehrheitlich herrscht, während im Politiksystem eine Kultur des organisierten Misstrauens herrscht. Aber warum ist das so? Weil sie natürlich, in einer Berufspolitikerkultur kämpft jeder gegen jeden, schon auch in der eigenen Partei. Da geht's ja dann um den Listenplatz, um die Aufstellung. Wer bekommt den Wahlkreis? #00:15:41-7#
Tobias Kirchhoff: Also, man sagt ja, auch, die schlimmsten Feinde sind die Parteifreunde. #00:15:46-4#
Thomas Sattelberger: Ja, das hat, glaube ich, Franz Josef Strauß, der frühere bayerische Ministerpräsident, der es besonders gut wusste, damals trefflich zum Ausdruck gebracht. Aber dieses System, das eigentlich nur deswegen da ist, weil Menschen in jungen Jahren sich der Politik verschreiben und kein berufliches Spielbein mehr haben oder Standbein, wie auch immer, sondern existenziell wie Alkoholiker abhängig werden vom Überleben im Politiksystem, das verroht ein Stück den Charakter. #00:16:23-2#
Tobias Kirchhoff: Das heißt also, der Grundgedanke, den wir in unserer Demokratie haben, dass die Parlamentarier mit einem oder mit beiden Beinen eigentlich aus dem Beruf kommen, ja so wie das vor 20, 30 Jahren noch gewesen ist: Brand hat was gelernt, Schmidt hat was gelernt, also, man hat eben beruflichen Hintergrund, und heute haben wir dann eher den Berufspolitiker. #00:16:44-0#
Thomas Sattelberger: Ja, als ich 2021 die vielen jungen Abgeordneten sah und ein bisschen in den Lebensläufen gestöbert habe, da bin ich richtig erschrocken. Ganz viele Studienabbrecher, ganz viele, die direkt vom Studium in die Politik gehen. Übrigens mein eigener Nachfolger, als ich mein Mandat aufgegeben habe auch. Der hat sein Studium nicht fertig gemacht. Ich habe das mit großer Sorge gesehen und sehe es auch heute noch mit großer Sorge. Ja, das sind im Grunde Politikjunkies, die mit 14, 15 in Jugendorganisationen schon einsteigen und im Grunde ihr Leben nur diesem Thema widmen. Und dann ist es ja durchaus auch spannend, wenn du als 24 jähriger abgebrochener Student oder Studentin 160 oder 180.000 € im Jahr hast. Das ist schon eine spannende Sache. Also, ich liebe das, was man manchmal spöttisch das Schweizer Teilzeitparlament nennt, denn natürlich hat die Schweiz ein System, dass man im Grunde erstens als Parlamentarier nicht üppig verdient, zweitens Parlament nicht so ist, dass man nebendran keinen Beruf ausüben kann. Und damit wird im Grunde die Berufsbefähigung von Politikerinnen und Politikern über lange Lebensphasen hinweg möglich gemacht. Ich bin überzeugt davon, dass das zu dieser ausgesprochenen Professionalität in der Schweizer Politik führt. #00:18:21-7#
Tobias Kirchhoff: An dieser Stelle machen wir eine kurze Unterbrechung, die ich für einen Hinweis nutzen möchte. Wenn ihr Fragen, Anregungen oder eigene Themenvorschläge habt, dann schreibt uns gerne eine Mail an leadgut@tuv.com oder besucht uns auf unserer Webseite tuv.com/leadgut und wenn euch unser Podcast gefällt, freuen wir uns natürlich, wenn ihr ihn abonniert oder eine gute Bewertung schreibt oder am besten beides. War es auch schon. Weiter geht's mit dem Gespräch mit Thomas Sattelberger. #00:18:53-0#
Tobias Kirchhoff: Eigentlich wollte ich sie ja fragen, was kann man als Führungskraft, die Unternehmen, von der Politik lernen? Aber sie haben es jetzt gerade genau andersrum formuliert, und da würde ich auch noch mal einsteigen. Wie sehen sie das in Deutschland? Was kann die Deutsche Politik vielleicht von der Wirtschaft lernen? #00:19:10-5#
Thomas Sattelberger: Also, ich habe ja, als ich bei Telekom war, Personalchef, hatte ich ja viele Zehntausende Beamtinnen und Beamte. Ich war der oberste Dienstherr. So nennt man das. Alle diese oder die allermeisten hatten im Grunde privatrechtliche Arbeitsverträge Das heißt, die Vergütungsstruktur, aber auch die Sanktionsmöglichkeiten, das Leistungsprinzip als solches war über den früheren Beamten drüber gestülpt. Und das glaube ich, weil wir ja das preußische Beamtentum in diesem Lande nicht abschaffen können. Also, man kann darüber klagen und weinen und poltern, aber ich sag mal, so verändere nicht die Dinge, die fast unveränderbar sind. Aber das sind Möglichkeiten, wo man beispielsweise also wirklich privatwirtschaftliche Modelle nutzen könnte. Ich habe das insbesondere bei der Innovationspolitik als Staatssekretär erlebt. Natürlich könnten wir Teile eines Ministeriums in eine schlanke Fregatte bringen und sagen, so, ihr seid jetzt die Agentur, zusammen mit möglicherweise Menschen aus anderen Sektoren, die zusammen dieses Innovationsschiff steuert. Aber dazu muss die Rahmenpolitik sozusagen von der Privatwirtschaft abgeguckt sein. Also, das kann man lernen. Dann, Politik kennt den Begriff Strategie nicht. #00:20:43-0#
Tobias Kirchhoff: Aber da schauen wir in Deutschland auch in den Unternehmen ein Thema zu haben, dass wir uns da auch schwer, sie haben es ja vorhin gesagt, also schwer tun, als Deutsche strategisch heranzugehen, und da kann die Politik dann also auch wenig lernen von den Unternehmen, oder doch? #00:20:59-3#
Thomas Sattelberger: Ja, also, ich sag mal so, ich spreche jetzt ja wahrscheinlich zu einem fachkundigen Publikum. Michael Porter ist zumindestens in den Unternehmen schon bekannt, während die allerwenigsten Menschen in der öffentlichen Verwaltung oder Parlamentarier jemals ein Buch von Michael Porter gelesen haben. Also da geht es ja um die Frage kompetitive Wettbewerbsanalyse. Wo stehe ich? Stärken-Schwächen-Analyse? Wo stehe ich im Grunde im Wettbewerb? Und was sind die KPIs, anhand derer ich Erfolg oder Misserfolg dessen, was ich tue, messe? Wenn sie heute Strategien anschauen, eine Digitalstrategie oder eine Strategie für Forschung, Zukunft oder eine KI-Strategie, da werden sie ganz vergeblich nach KPIs gucken. KPIs machen ja transparent, sie machen es auch messbar. #00:21:58-9#
Tobias Kirchhoff: Und damit dann auch natürlich auch bewertbar, und ich denke, sie plädieren ja auch dafür, und da würden wahrscheinlich die größten Teile der Bevölkerung dem auch zustimmen, dass man sagt: Okay, wenn wir wirtschaftliche Mechanismen vielleicht einführen, würde das ja auch Konsequenzkultur bedeuten, und das würde ja bedeuten, wir haben da ja vor einiger Zeit einen Fall im Verkehrsministerium gehabt, wo man gesagt hat: Mensch, das wird ja richtig teuer für den Steuerzahler, aber mit keinen Konsequenzen für die Verantwortlichen. #00:22:30-0#
Thomas Sattelberger: Ja, also diese Frage auch, geht da schon die Karrieresysteme rein. Die sind ja in der öffentlichen Verwaltung eigentlich nach Seniorität. Das ist ja im Prinzip, das es übrigens in der deutschen Wirtschaft bis in die 90er-Jahre zum Teil auch gab, und dann, wenn alles dann am Schluss nicht mehr ging, gab es halt einen Direktor für die Weinsammlung des Vorstands oder die Kunstsammlung, also Frühstücksdirektoren. Da hat es ja in den 90er-Jahren eine Veränderung gegeben. Eine Konsequenzenkultur, wobei Konsequenz klingt immer so bedrohlich. Es hat ja auch ganz viel an Anerkennung, an Erfolg, an Wertschätzung des Geleisteten, aber natürlich auch Sanktionierung, wenn es wirklich brutal in die Hose geht und man den Mist auch selber verursacht hat. Wobei natürlich im Beamtentum noch schlimmer als in der Privatwirtschaft durch diese Konsenskultur die Verantwortung auf ganz viele verteilt wird. #00:23:33-9#
Tobias Kirchhoff: Und wenn ganz viele zuständig sind, ist keiner verantwortlich. #00:23:36-7#
Thomas Sattelberger: Das ist der Punkt. Ich bin, bei allen Wertschätzungen von Team, bin ich nach wie vor ein überzeugter Anhänger auch von Einzelverantwortung. #00:23:46-8#
Tobias Kirchhoff: Ja, und das spielt auch wieder damit überein, dass sie auch sagen, ich muss auch den Mut haben, für Sachen einzustehen, und kann nicht nur auf Sicherheit gehen und mich wegducken. Und das zieht sich dann ja wiederum durch, dass ich eben nicht nach vorne gehe und dann eben auch nicht Zukunft mache. Aber eine letzte Frage, bevor sie gehen, weil sie sind ja dann von der Wirtschaft in die Politik gewechselt, und ich bin so froh, so einen honorigen Mann hier bei uns zu haben, und ich würde sie gerne fragen, weil in der Politik hat man irgendwie das Gefühl, es bewegt sich auf der einen Seite gar nichts, der Reformstau ist da, und auf der anderen Seite bekommt man ein Gefühl, dass in Deutschland das Thema dieser pluralistischen Gesellschaft, der Demokratieform, in der wir hier sind, dass wir da im Moment auf einem Weg sind, der sehr stark polarisiert, und zwar diese Gesellschaft, und damit aus meiner Sicht auch eine Gefahr für die Demokratie sein könnte. #00:24:42-7#
Thomas Sattelberger: Also, es sind jetzt zwei Themen in ihrer Frage drin. Vorausgeschickt, Krise in ihrem ehrlichen Sinne ist nicht schlecht. Krise ist oft, und das ist meine Wirtschaftserfahrung, die Chance zur Sanierung und Sanierung auf Deutsch heißt ja gesund werden. Deutschland ist wieder kranker Mann Europas. Ich glaube, wir werden noch weiter abstürzen. Das ist ein Blick in die Kristallkugel, und ich glaube, wir haben dann eine Chance, uns wirklich zu sanieren, aus unserer selbstgefälligen und mittelmäßigen und zum Teil leistungsfeindlichen Kultur wieder zu einer erfolgreichen Nationen zu werden, Komma, wenn wir die Demokratie in diesem Lande gewährleisten. Der Begriff Wehrhaftigkeit, der hat ja zwei Bedeutungen. Man ist wehrhaft im Verteidigen der Demokratie, und man ist übrigens auch wehrhaft in der äußeren Verteidigung gegenüber Angriffen von außen. Das sehen wir ja gerade in der Ukraine. Also, ich sag das mal ganz bewusst, weil natürlich im optimalen Zustand entwickelt sich ein demokratisches Gebilde in seiner Wehrhaftigkeit nach innen, aber auch nach außen und nicht nur einseitig. Aber natürlich macht mir der Extremismus in beiden Seiten, insbesondere aber auch der rechte Extremismus, große Sorgen. Und natürlich ist politische Bildung verludert in unseren Schulen. Da müssen wir wirklich ran. Da geht's nicht nur um MINT, sondern da geht's auch um die politische und staatsbürgerliche Bildung. Zum zweiten heißt das auch, und ich sage das unpopulär, Migrationsströme müssen auch verpflichtet werden auf diese Verfassung. Der Respekt vor Minderheiten, der Respekt vor Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit. Es kann nicht sein, dass im Grunde in Berlin arabische Demonstranten die Vernichtung Israels fordern. Jetzt bin ich ein Stück vom Rechtsextremismus weg, aber ich glaube, auch das muss man ganzheitlich sehen, und wer bei uns ist, egal ob als Staatsbürger oder als jemand, der Asyl bekommen hat, der muss im Grunde diese Rechtsstaatlichkeit anerkennen. Punkt. Also, was ich damit sagen will, ist, dass wir in einer offenen Debattenkultur, auf einer verfassungsmäßigen Grundlage, in einem wertegeleiteten Stil wieder eine politische, demokratische Kultur entwickeln müssen. Und das ist die beste Waffe gegen Extremismus, vor allem gegen den rechten Extremismus, aber auch gegen andere. #00:27:44-1#
Tobias Kirchhoff: Lieber Herr Sattelberger, vielen Herzlichen Dank, dass sie bei uns gewesen sind, hierbei lead:gut und an euch da draußen auch ein herzliches Dankeschön fürs Zuhören. Das war eine weitere Folge von lead:gut. Mein Name ist Tobias Kirchhoff, und ich hoffe, ihr kommt inspiriert in euren Arbeitsalltag zurück, bleibt neugierig und seid mutig. #00:28:08-4#
Thomas Sattelberger: Dankeschön. #00:28:09-4#
Outro: lead:gut, Inspiration für Führungskräfte. #00:28:15-4#
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